Pflicht und Verlangen
Diesen Ring würde er bestimmt nicht
mitnehmen. Er setzte seine Tasche ab, zog mit etwas Mühe den
Ring vom Finger und legte ihn offen und gut sichtbar auf den
Sekretär.
Und
wenn Gwendolyn nun trotz aller rechtlichen Hemmnisse die Scheidung
betrieb, so konnte er es nicht ändern. Es wäre zwar recht
dumm von ihr, aber immerhin nachvollziehbar. Er hatte schließlich
vor Zeugen eingestanden, eine andere Frau zu lieben. Vielleicht würde
durch dieses Eingeständnis auch Charlotte Schaden entstehen,
obwohl dieser kaum noch größer werden konnte, doch er
glaubte, dass sie durch die finanzielle Absicherung, die er ihr
zukommen lassen würde, in der Lage wäre, sich darüber
hinwegzusetzen. Ohnehin schien ihr nie wirklich daran gelegen gewesen
zu sein, sich den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft zu
unterwerfen. Sie hatte es eher gezwungenermaßen getan. Er
hoffte, ihr nun wenigstens auf diese Weise den notwendigen Freiraum
geben zu können, wenn er sie auch nicht umsorgen durfte, wie er
es nur zu gerne getan hätte.
******
Einige
Zeit später traf er in Davids Kanzlei ein. Eine bleierne
Müdigkeit saß ihm in den Knochen, der er aber noch nicht
nachgeben durfte. Es gab noch so vieles zu bedenken, wollte er die
Dinge geordnet hinterlassen und das betrachtete er als seine letzte
Aufgabe in seinem alten Leben. Er war in einer seltsamen,
beängstigend schicksalsergebenen Stimmung, die auch seinem
Bruder sofort auffiel.
» John,
du siehst furchtbar aus, wenn ich dir das sagen darf«, wurde er
von diesem begrüßt, »ist etwas geschehen, das ich
wissen sollte?«
» Guten
Tag, David, lass mich erst einmal Platz nehmen.« Er ließ
sich schwer in den Sessel gegenüber dem großen
Schreibtisch fallen, der von reger Arbeit zeugte. David reichte ihm
teilnahmsvoll ein Glas mit Brandy, das er auch dankend annahm.
Nachdem er einen Schluck genommen hatte, schloss er die Augen und
atmete tief durch. Dann wandte er sich konzentriert seinem geduldig
abwartenden Bruder zu.
» Es
ist allerdings eine ganze Menge passiert. Hast du ein bis zwei
Stunden Zeit für mich? Es ist wichtig!«
» Selbstverständlich,
John. Ich muss nur kurz Bescheid sagen, dass ich für den Rest
des Tages nicht mehr zu sprechen bin.« David erhob sich,
verließ den Raum, um seinem Personal die entsprechende
Anweisung zu geben und kam kurz darauf zurück. »Jetzt bin
ich aber wirklich gespannt.«
John
schilderte seinem Bruder die Vorgänge der letzten Tage
ausführlich, aber so sachlich wie möglich, was ihm
angesichts des Vorgefallenen aber nicht immer gelang. David hörte
zu, unterbrach ihn kaum, zeigte sich aber sichtlich mitgenommen von
dem, was er aus dem Munde seines Bruders zu hören bekam.
Schließlich
beendete John seinen Bericht damit, dass er sich gerade sozusagen von
seiner Frau getrennt habe, jedoch nicht beabsichtige, eine Scheidung
herbeizuführen, diese allerdings akzeptieren würde, wenn
sie von Lady Battingfield gewünscht werde.
» John,
alter Junge, es ist ein Wunder, dass du noch aufrecht stehst. Ich
wüsste nicht, ob ich dem allen standgehalten hätte.«
» Ehrlich
gesagt wäre ich auch sehr dankbar, wenn ich mich bei euch noch
etwas ausruhen dürfte, da ich, wie du ja weißt, morgen
Abend in Portsmouth meinen Dienst antreten muss. Es ist mir nur
wichtig, die notwendigen Regelungen so zu treffen, dass sie –
auch im durchaus möglichen Falle meines Todes oder falls ich als
verschollen gelten sollte – von keiner Seite angefochten werden
können. Du verstehst, was ich meine? Ich möchte auf alle
Fälle vermeiden, dass die Familie meiner Frau Miss Brandon in
irgendeiner Form die Apanage, die ich ihr zukommen lassen werde,
streitig machen kann.«
David
sah ihn ernst an: »Sicher, Bruder, das kann ich entsprechend
für dich aufsetzen, natürlich auch die Geldanweisungen für
Miss Fortescue und diesen Dr. Williams. Allerdings will ich doch sehr
hoffen, dass du gesund zurückkehrst, John.«
Dieser
überhörte den Wunsch geflissentlich, was David mit
Besorgnis registrierte. Die Stimmung seines Bruders gefiel ihm ganz
und gar nicht.
» Ich
danke dir aufrichtig für deine Bemühungen!« John
stand auf. »Da fällt mir ein, kannst du mir erklären,
was eigentlich aus Millford Hall wird, wenn Sir Alistair stirbt und
Lady Millford keinen Erbberechtigten vorweisen kann?«
» Ja,
sicher! In einem solchen Fall fallen Titel und Land zurück an
die Krone, der Besitz auch, sofern der Betreffende keine
geschäftlichen Verfügungen – zum
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