Pflicht und Verlangen
wurde
schlecht und sie erbrach sich, doch es kam nur etwas Galle.
Hilfreiche Hände und kühle, feuchte Tücher taten ihr
wohl.
» Charlotte,
meine arme Charlotte, was hat man dir nur angetan?«
Jetzt
erkannte sie das Gesicht: »Mary …?«
» Mein
Gott, endlich erkennst du mich! Hier, trink! Du musst unbedingt etwas
trinken!«
Folgsam
tat Charlotte, wie ihr geheißen wurde. Sie fühlte sich so
unendlich schwach. Einige wenige Schlucke und sie war völlig
erschöpft.
» Mary?
Wo bin ich?«
» Ach,
Charlotte, meine liebe Charlotte, du bist im Haus von Dr. Williams.
Komm, hier, trink noch etwas.«
Wieder
nahm sie ein paar Schlucke und merkte, wie ihr Verstand klarer wurde.
» Wieso
bin ich hier? Wie kommst du hierher?«
» Ich
bin hier, weil Captain Battingfield mich geholt hat. Er hat gesagt,
du brauchst mich! Und weiß Gott, er hatte recht. Wir hatten
solche Angst, dass du stirbst. Du warst so krank!«
» John!
Ist er hier?«
Mary
schüttelte den Kopf. Charlotte fühlte augenblicklich einen
tiefen Schmerz. Er war nicht da! Warum nicht? Sie brauchte ihn doch!
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Mary strich ihr über
den Kopf. »Du musst noch ein wenig trinken, Liebes! Ich hole
schnell Dr. Williams. Bitte, bleibe ganz ruhig. Wir werden dir
beizeiten alles erklären, versprochen!«
Charlotte
schluckte folgsam. Ausruhen! Dr. Williams. Wer war Dr. Williams? Was
war geschehen?
Etwas
fiel ihr ein: ein schwarzer Hengst. Sie hatte solche Angst. Seine
Hufe trommelten auf den Boden. Ihre Hände verkrampften sich in
der Bettdecke. Sie war gefallen. Sie hörte ihren eigenen Schrei.
In
diesem Augenblick trat ein fremder Mann ins Zimmer. Nein, nicht
fremd, sie kannte sein Gesicht. Es war ein freundliches Gesicht mit
besorgt blickenden, blaugrauen Augen.
» Miss
Brandon, was ist? Sie müssen sich beruhigen!«
» Der
Hengst, ich will nicht auf den Hengst!« Sie begann zu zittern.
» Mein
Kind, Sie sind in Sicherheit! Keiner tut Ihnen etwas! Sie sind vom
Pferd gestürzt und waren sehr, sehr krank. Aber nun werden Sie
wieder gesund.«
» Ich
war krank? Wie lange?«
» Zehn
Tage lang haben Sie uns die allergrößten Sorgen gemacht,
Miss Brandon! Wie froh bin ich, dass Sie wieder unter uns weilen.«
» Kann
ich noch etwas zu trinken haben?«
» Aber
natürlich! Je mehr, desto besser!«
» Ich
habe auch Hunger!«
» Sie
hat Hunger! Das ist die beste Nachricht seit Tagen.« Dr.
Williams strahlte. »Miss Fortescue, laufen Sie schnell zu
meiner Frau und bitten Sie sie um etwas Haferschleim. Mehr darf ich
Ihnen noch nicht geben, meine Liebe. Sie haben lange nichts zu sich
genommen, etwas anderes können Sie noch nicht verkraften.«
Charlotte
schloss die Augen. Sie fühlte sich benommen, merkte aber, wie
sich ihre Gedanken zu ordnen begannen. Zehn Tage waren seit ihrem
Sturz vergangen, sagte Dr. Williams. Die Tage dazwischen waren wirr
und ohne klare Erinnerung. Aber sie erinnerte sich daran, dass sie
von dem schwarzen Hengst gestürzt war. Da war ein Abgrund
gewesen. Sie riss erneut in Panik die Augen auf. Dr. Williams nahm
ihre Hand.
» Mein
Kind, Sie haben Schlimmes erlebt und noch Schwereres durchgemacht. Es
ist ein wahres Wunder, dass Sie wieder soweit hergestellt sind. Ich
hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Ich werde Ihnen berichten,
was geschehen ist. Sie sind jetzt durcheinander, das ist nur zu
verständlich. Aber nun müssen Sie erst noch ein wenig
kräftiger werden. Morgen oder übermorgen werde ich Ihnen
alles berichten, was ich weiß. Bis dahin versprechen Sie mir,
dass sie eine brave Patientin sind und nur essen, trinken und
schlafen, nicht wahr? Haben Sie Schmerzen?«
» Ja,
aber es ist nicht so schlimm. Ich denke, ich werde es ertragen
können. Ich erinnere mich: da war Schmerz, schrecklicher Schmerz
und irgendetwas hielt mich fest. Ich wollte weg, aber es ging nicht.«
Dr.
Williams Blick verdunkelte sich und sein Gesicht wirkte traurig.
Warum?
» Wo
ist John? Er war doch da, er war die ganze Zeit da. Mary sagt, er sei
nicht hier. Ich habe ihn doch rufen hören. Er sprach mit mir!«
Dr.
Williams strich ihr tröstend über den Kopf. »Sie
haben recht, er war bei Ihnen in Ihren dunkelsten Stunden. Sie haben
ihm viel zu verdanken. Ohne ihn wären Sie nicht mehr hier. Aber
er musste fort. Er konnte nicht bleiben. Er hat es sehr bedauert und
Sie deshalb Miss Fortescue, meiner Frau und mir anbefohlen. Sicher
werden Sie ihn wiedersehen. Aber nun ruhen Sie sich aus. Das ist
jetzt Ihre wichtigste
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