Pflicht und Verlangen
seiner
Vorgeschichte darauf hoffen konnte, einer jungen Dame von edler
Abstammung und guter Erziehung vorgestellt zu werden.«
» Aber
Charlotte Brandon war wohl gut genug für dieses Schwein!«,
John war erregt auf sie zugegangen und fuhr sie jetzt mit
zornbebender Stimme an: »Sie ist ja schließlich nicht von
hoher Geburt. Da
macht es ja nichts aus, wenn er sich an ihr vergreift oder versucht,
sie umzubringen. Dann hat sie eben Pech gehabt, nicht wahr? Es hätte
ja auch klappen können und wenn nicht, wäre der Schaden
nicht groß gewesen und man hätte es totschweigen können,
wie in den anderen Fällen vorher auch. Ist das so?!«,
schrie er sie an. Sein Zorn war übermächtig.
Lady
Wellesley schwieg mit zusammengekniffenem Mund und bestätigte
damit, dass genau dies ihre Überlegungen gewesen waren.
Stille
trat ein. John atmete tief durch, dann sagte er klar und überlegt:
»Meine Damen, ich muss Ihnen sagen: Sie widern mich an!«
Da
begann Gwendolyn schrill zu kreischen: »Und wenn schon! Sie hat
es verdient! Diese Charlotte Millford ist nichts weiter als ein
hinterhältiges, wertloses Frauenzimmer.«
» Schweig!«,
donnerte er sie an. »Ich dulde nicht, dass du noch ein einziges
Mal ihren Namen oder ihre Ehre beschmutzt. Sie ist die Frau, die ich
liebe. So, jetzt weißt du es! Und es ist mir völlig
gleichgültig, ob dir das passt oder nicht. Ihr, diese ganze
verlogene Gesellschaft, seid es nicht wert, über sie zu
urteilen. Ihr habt jedes Maß verloren. Ihr deckt einen Mörder
und Verbrecher, macht euch mit ihm gemein und erfrecht euch, über
Charlotte zu urteilen, die euch an Charakter, Verstand und
Herzensgüte haushoch überlegen ist.«
Die
Worte taten ihre Wirkung. Gwendolyn war endlich still.
» Gwendolyn,
ich denke, du siehst ein, dass wir unsere Ehe in der bisherigen Form
nicht mehr fortsetzen können«, sagte er nun sehr ruhig.
»Ich teile dir hiermit mit, dass ich meine Karriere bei der
Marine wieder aufzunehmen gedenke. Ein Schritt, den ich übrigens
schon vor den Vorfällen in Rockbury Castle in die Wege geleitet
habe und der nichts mit Miss Brandon zu tun hat, die überhaupt
völlig schuldlos an der jetzigen Entwicklung ist. Ich werde mich
morgen nach Portsmouth begeben, um das Kommando auf einem
Forschungsschiff zu übernehmen, der HMS Hecla. So wie die Dinge
liegen, besteht die Gefahr – oder besser vielleicht: die Aussicht
– ,
dass ich von dieser Reise nicht mehr zurückkehren werde. Das
wird dir vermutlich entgegenkommen. Ich bin mir aber der
Verantwortung für das Kind, das du unter dem Herzen trägst,
mehr als bewusst. Deshalb werde ich, was mich betrifft, unsere Ehe
zumindest auf dem Papier fortbestehen lassen. Solltest du die
Scheidung vorziehen, sei dir das unbenommen. Ich werde meinen Bruder
anweisen, dann die entsprechenden Schritte einzuleiten. Du kannst
dich an ihn wenden. Im Hinblick auf deine Stellung und auf die
Anerkennung und Absicherung unseres gemeinsamen Kindes empfehle ich
dies aber nicht. Wenn du willst, kannst du hier im Schutze deiner
Familie bleiben, auch wenn ich zurückkehren sollte. Wir werden
unser gemeinsames Eheleben in keinem Fall mehr fortführen. Ich
denke, das ist in deinem Sinne!«
Ohne
noch weitere Erwiderungen abzuwarten, wandte er sich zur Tür,
dann aber drehte er sich noch einmal um: »Gwendolyn, es tut mir
leid. Ich wollte, ich wäre dir ein besserer Ehemann gewesen,
aber unsere Ehe war ein einziger großer Fehler. Trotzdem
wünsche ich dir für die Niederkunft nur das Beste. Ich
werde beten, dass dir und dem Kind nichts geschieht und ich
verspreche dir, das Kind in jeder Form als das meine zu achten und zu
lieben. Leb wohl!«
Damit
verließ er den Raum. Es war ihm, als habe sich gerade eine
Kerkertür geöffnet, die ihm den Weg in die Freiheit seit
Jahren versperrt hatte.
******
Er
kehrte zurück in sein Zimmer und begann, einige wenige Sachen zu
packen. Den Rest würde er von der Dienerschaft nach Portsmouth
schicken lassen. Es war besser, er verließ das Haus jetzt
sofort, ohne weiteren Auseinandersetzungen Raum zu geben. Was hätte
das auch für einen Sinn gehabt, sein Entschluss war
unumstößlich.
Schließlich
war er fertig und legte die Hand auf die Türklinke. Da fiel sein
Blick auf den Rubinring, den er immer noch trug. Den hatte er
anlässlich der Eheschließung mit Gwendolyn von Lord
Wellesley überreicht bekommen. Für ihn immer ein Zeichen
seiner Gefangenschaft, aber man hatte ausdrücklich von ihm
erwartet, dass er ihn trug.
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