Pflicht und Verlangen
hatte. Die Schublade und eines der Fenster
der Bibliothek ließ sie dabei offen, damit die Zimmerluft das
Buch weiter trocknen konnte und so der Schimmel nicht noch weiteren
Schaden anrichtete. Es war wirklich ein Jammer, dass das Desinteresse
ihrer Verwandten diesen Zustand herbeigeführt hatte. Allerdings
konnte man auch nicht erwarten, dass sie sich der Bedeutung der für
sie wertlosen Bücher und Fundstücke bewusst waren oder –
was ihre Tante anging – bewusst werden wollten. Mit einem
bedauernden Schulterzucken richtete sich Charlotte auf und verließ
die Bibliothek, um Mrs Sooner aufzusuchen.
******
» Margret,
Margret! Wo steckst du schon wieder?« Die resolute Stimme der
Köchin Mrs Sooner drang durch die mit Dampfschwaden angefüllte
Küche. Es gab viel zu tun in einem Herrenhaus. Nicht nur die
Herrschaft wollte versorgt sein, sondern auch eine stattliche Anzahl
von Bediensteten des Hauses, der Ställe und Gartenanlagen. Ein
Anwesen wie Millford Hall hatte an gewöhnlichen Tagen bis zu
dreißig Personen zu ernähren, weitaus mehr natürlich
noch bei außergewöhnlichen Anlässen wie den
Feiertagen oder dem Ball, der kürzlich stattgefunden hatte.
Dies
war umso schwieriger, da Lady Millford ein sehr strenges Regiment
bezüglich der Ausgaben führte. Sie rechnete alles bis auf
den letzten Penny genau ab und Mrs Sooner hätte schwören
können, dass sie auch die Kartoffeln, die vor langer Zeit so
segensreich auf der Insel Einzug gehalten hatten, für jedes zu
fütternde Maul abzählte. Mrs Sooner allerdings legte Wert
auf eine gute und gehaltvolle Küche und war, zumindest was das
Durchsetzungsvermögen anbelangte, Lady Millford durchaus
ebenbürtig. Das hätte jedes Mitglied des Millford’schen
Haushalts bezeugen können. Und so hatte sie der gestrengen
Herrin manches abgetrotzt. Seit dem Ball aber waren die Vorgaben noch
enger geworden. Die Dienstboten tuschelten, dass es mit den Finanzen
der Millfords nicht zum Besten stand und deshalb wohl bald mit der
einen oder anderen Entlassung gerechnet werden musste.
» Margret
… das faule Stück träumt den ganzen Tag! Alles muss
man selbst machen. Ich werde Lady Millford empfehlen, sie als Erste
rauszuschmeißen«, brummte Mrs Sooner. Sie war eine stabil
gebaute Mittvierzigerin mit früh ergrautem einstmals schwarzem
Haar und einem festen Flaum auf der Oberlippe. Wenn sie, wie jetzt
gerade, zornig auf ihre Küchenhilfen war und dabei resolut mit
dem Kochlöffel in der Suppe rührte, war sie einem Feldwebel
nicht unähnlich. Gewiss hätte sie es auch furchtlos mit
jedem feindlichen Soldaten aufgenommen, so es einer gewagt hätte,
ihre Küche zu stürmen. Stattdessen kämpfte sich nun
Charlotte durch den Dampf zur Feuerstelle am eindrucksvollen
Westkamin der Küche.
» Mrs
Sooner, ich bedaure, ich bin nicht Margret. Aber ich habe gesehen,
dass sie gerade mit dem Abfalleimer zu den Schweineställen
wollte. Sie wird wohl gleich zurück sein.«
» Oh,
Miss Bran… ach, ich kann mich noch nicht daran gewöhnen,
Miss Millford natürlich!« Augenblicklich verwandelte sich
die bedrohliche Herrin des Feuers wieder in die eher mütterliche,
warmherzige Frau zurück, die sich hinter dem energischen Äußeren
verbarg. Die Dienstboten hatten Miss Charlotte, wie sie sie unter
sich nannten (und was Arthur als Vorgesetzter der dienstbaren
Hausgeister natürlich aufs Äußerste missbilligte)
längst ins Herz geschlossen. Ihnen tat die freundliche junge
Frau leid, die unter dem unbeugsamen und manchmal doch sehr
unfreundlichen Wesen der Hausherrin am meisten zu leiden hatte.
Wohlwollend hatte man bemerkt, dass das neue Mitglied des
Millford’schen Haushalts dabei aber nicht klagte, Sir Alistair
mit viel Hingabe und Zuneigung umsorgte und das harsche Verhalten von
Lady Millford ertrug, bis auf einige kleine Ausbrüche, die aber
nur zu verständlich waren. Betty hatte natürlich von der
Auseinandersetzung mit Lady Millford im Vorfeld des Balles berichtet
und alle hatten sich große Sorgen gemacht, als Miss Charlotte
an jenem Tag bis zum Einbruch der Dämmerung nicht aus dem Wald
zurückgekehrt war. Mrs Sooner war vor allem sehr empört
gewesen über das Desinteresse, welches Lady Millford dieser
Tatsache zukommen ließ. Aber zum Glück war die Vermisste
ja dann Lord Battingfield über den Weg gelaufen, der sie sicher
nach Hause gebracht hatte. Überhaupt war dieser Battingfield ein
charmanter Mann. Sie konnte sich noch erinnern, dass er als
halbwüchsiger Knabe, damals,
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