Pflicht und Verlangen
ihres Vaters wieder lebendig
werden zu lassen. Es war fast, als würde er noch einmal mit ihr
sprechen, als würde sie die glückliche Zeit ihrer Kindheit
in Griechenland zurückholen können.
Aber
– und das zeigte ihr auch der traurige Zustand der Bücher
nur allzu deutlich – diese Zeit war endgültig
Vergangenheit und sie tat gut daran, sich nicht zu sehr darin zu
verlieren. Bereitwillig blickte sie auf, als ihre Tante sie nun mit
dem Brief Terencys in der Hand aufsuchte.
» Dann
sollten wir eine Kutsche zu den Fortescues schicken, damit die Misses
Fortescue und Mr Edward Fortescue ebenfalls herkommen können. Mr
Terency hatte ja ausdrücklich darum gebeten, dass diese auch
eingeladen würden.«
» Ja,
in der Tat!«, Lady Millford wirkte über diesen Umstand
immer noch irritiert, um nicht zu sagen verärgert. »Er hat
es sogar noch einmal in diesem Schreiben erwähnt. Wobei ich mir
nicht erklären kann, was er an diesen drei doch recht
gewöhnlichen jungen Leuten finden mag.«
» Liebe
Tante, vermutlich dasselbe, was er an mir, einer recht gewöhnlichen
jungen Frau, finden mag«, bemerkte Charlotte etwas spitzzüngig.
»Das
ist doch ganz etwas anderes! Immerhin bist du jetzt eine Millford!«,
Lady Millford klang nun ehrlich entrüstet.
» Nun,
das war ich einerseits noch nicht, als die Vereinbarung über
diesen Besuch getroffen wurde, und andererseits sehe ich auch nicht,
dass der Name Millford so viel ehrenwerter ist als der Name
Fortescue, der eine lange noble Geschichte hat, wie mir berichtet
wurde und ich auch im Adelsregister, das hier in der Bibliothek
steht, nachgelesen habe. Er hat sogar noch eine längere
Tradition als der Name Millford!«
Lady
Millford rümpfte die Nase. »Tatsächlich? Steht das im Adelsregister? Nun, du musst es ja wissen, da du es ja seit
Neuestem vorziehst, deine Tage in der Bibliothek zu verbringen. Du
solltest in der nächsten Zeit wirklich mehr an die frische Luft
gehen und dich um dein Äußeres kümmern.« Sie
bedachte Charlotte einmal mehr mit einem ihrer üblichen
missbilligenden Blicke. »Und bitte Arthur darum, dass hier
gründlich gelüftet wird. Es riecht doch sehr unangenehm
nach Schimmel.«
Damit
raffte sie ihr Gewand und verließ den Raum.
Charlotte
lächelte zufrieden und beugte sich wieder über ihre
Lektüre. Sie würde wirklich nachher noch etwas ins Freie
gehen, denn der Schimmelgeruch bereitete ihr auf die Dauer Übelkeit
und Kopfschmerzen. Das konnte jedoch keinesfalls ihr Vergnügen
darüber mindern, dass sie ihrer Tante in den letzten Tagen nicht
nur nicht mehr ganz so hilflos gegenüberstand, sondern auch die
eine oder andere Spitze hatte setzen können. Die Beschäftigung
mit dem Nachlass ihres Vaters gab ihr nach und nach die Energie
zurück, die ihr sonst zu eigen war und die sie seit ihrer
Ankunft auf Millford Hall vermisst hatte. Sie konnte es kaum
erwarten, in einigen Tagen wieder nach Dullham Manor zu fahren und
das, was sie aus der Lektüre der letzten Stunden erfahren hatte,
mit den anderen Schriften zu vergleichen. Dr. Banning hatte jeweils
am Donnerstag Zeit, so hatte er ihr mitgeteilt, und würde sich
dann gerne mit großem Eifer an die Arbeit machen. Vielleicht
würde auch der Captain sich dazugesellen. Dieser Gedanke ließ
ihr unverhofft das Blut in die Wangen schießen, was sie mit
Unbehagen registrierte. Besser sie konzentrierte sich wieder auf ihre
Arbeit.
Zu
klären war noch die Frage ihrer Kleidung. Die Kleidungsstücke,
die ihre Tante für sie hatte fertigen lassen, waren aus sehr
leichtem Stoff, nach der Maßgabe der Mode tief ausgeschnitten
und mit lächerlichen Ärmelchen versehen. Völlig
unzweckmäßig für eine Arbeit, bei der sie durchaus
auch einmal zupacken musste und davon abgesehen viel zu leicht für
die Jahreszeit. Sie fröstelte noch immer, wenn sie an den
letzten Tag auf Dullham Manor dachte. Die Kälte war ihr so in
die Glieder gekrochen, dass sie am Abend eine leichte Erkältung
geplagt hatte, die aber glücklicherweise schnell wieder
verflogen war. Sie musste sich einfach zweckmäßiger und
wärmer kleiden, sonst würde die Arbeit in dem zwar mehr als
passenden, aber leider ungeheizten Lagerraum auf die Dauer ihre
Gesundheit gefährden. Vielleicht konnten Emmy oder Mrs Sooner
ihr weiterhelfen. Sie wollte sich heute vor dem Spaziergang darum
kümmern.
Vorsichtig
klappte sie das Buch zu und verstaute es zusammen mit ihren
Arbeitsutensilien in einer Kommode, die sie vorsorglich mit
Baumwolllumpen ausgelegt
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