Pflicht und Verlangen
wahr, Mary?«, versuchte sich Miss Millicent
wieder in das Gespräch einzubringen. Die Angesprochene nickte
etwas zögerlich: »Ich wüsste nicht, ob ich den Mut
aufbrächte, bei einem solchen Ritt mitzumachen. Die meiste
Furcht hätte ich wohl vor dem Anblick des blutigen Schauspiels,
wenn der Fuchs gestellt wird.«
Charlotte
räusperte sich. »Ich denke, es ist nicht gerade ein
Zeichen von Mut, wenn eine große Gruppe von Reitern auf
schnellen Pferden und angeführt von einer blutgierigen
Hundemeute einem einzelnen, hilflosen Fuchs nachjagt, der wirklich
keine Chance hat angesichts einer solchen Übermacht. Wirklicher
Mut zeigt sich meines Erachtens dann, wenn man allein einem wilden
Tier gegenübertritt. So zeigt vielleicht sogar ein Schafhirte in
den schottischen Highlands mehr Mut, der seine Herde gegen die Wölfe
in der Nacht verteidigt und beschützt.«
» Welch
romantische Vorstellung, Miss Millford!«, Terency kicherte
amüsiert. »Jedoch sprechen Sie hier von profaner
Tapferkeit. Eine langweilige Regung, immer aus der Not geboren und
doch mehr Ihren verehrten griechischen Kriegshelden zugehörig.
Ich aber spreche von dem Rausch der Jagd, von der Lust der
Überlegenheit und der Planung. Ich wünschte, Sie könnten
es einmal miterleben. Und was sollte Sie auch daran hindern? Ich lade
Sie, Sir Alistair und Lady Millford, sofern es die Gesundheit des
Baronets erlaubt, hiermit im Frühjahr zu einer unserer
Fuchsjagden ein. Es wäre mir eine Ehre, besonders Sie, Miss
Millford, von der Ehrenhaftigkeit und Ästhetik dieses
königlichen Jagdsports zu überzeugen.«
Lady
Millford machte sich bemerkbar, bevor Charlotte erneut ablehnen
konnte und nahm dieses Angebot im Namen ihres Mannes und ihrer Nichte
mit der größten Befriedigung und Dankbarkeit an. Sir
Alistair kommentierte die Verabredung seinerseits mit nichts als
einem leisen Schnarchen, da er natürlich inzwischen wieder fest
eingeschlafen war.
So
entwickelten sich die Dinge, trotz des ungezogenen Verhaltens ihrer
Nichte, doch recht erfreulich. Mr Terency schien wirklich an
Charlottes Wohlwollen gelegen zu sein, vielleicht reizte ihn aber
auch gerade ihre Widerspenstigkeit. Er schien, als Mann von
hervorragendem Aussehen und noch besserer Herkunft, dem alle Herzen
von allein zuflogen, nach einer Herausforderung zu suchen. Die
Überwindung der Ablehnung, die ihm so offensichtlich von der
jungen Frau entgegenschlug, war ihm möglicherweise deshalb ein
lohnendes Ziel und vielleicht gelang es Lady Millford, Charlotte so
zu führen, dass er sich dabei in ihren Netzen verfing. An ihr
sollte es jedenfalls nicht liegen.
Inzwischen
hatte Terency begonnen, von seinen Reisen in Europa und besonders von
der Kulturstadt Wien zu berichten. Für dieses Thema schien sich
Charlotte etwas zu erwärmen, besonders, als er auf die
Musikszene zu sprechen kam. Die jungen Leute kamen mehr ins Gespräch,
was Lady Millford beruhigte. Merklich entspannter läutete sie
nach der Dienerschaft. Emmy sollte noch etwas von Mrs Sooners
wirklich hervorragendem Teegebäck und frischen Kaffee
heraufbringen.
Gerade
berichtete Mr Terency von den Wiener Kaffeesalons, als wie aufs
Stichwort Arthur eintrat, gefolgt von Emmy. Diese begann unter den
strengen Blicken des Butlers, mit hochrotem Gesicht und stark
zitternden Händen das Gebäck und den Kaffee zu servieren.
Lady Millford war einigermaßen verärgert über das
seltsame Verhalten des sonst eigentlich recht zuverlässigen
Dienstmädchens. Sie konnte es sich nicht erklären und
beschloss, Arthur anzuweisen, das alberne und enttäuschende Ding
zu ermahnen, da sie sich sonst genötigt sehen würde, sie zu
entlassen. Tatsächlich war es ihr recht, einen Grund zu finden,
noch einen der kostspieligen Bediensteten loszuwerden, ohne dass es
der schwierigen finanziellen Situation der Millfords angelastet
werden würde.
In
diesem Augenblick fiel Emmy das Gebäck, das sie dem hohen Gast
reichen wollte, mitsamt dem Teller herunter. Sie brach in Tränen
aus. Arthur beeilte sich, den Schaden sofort in Ordnung zu bringen
und reichte dem wichtigen Gast schnell einen neuen Teller mit
frischem Gebäck, danach beförderte er die Unwürdige
aus dem Zimmer. Mr Terency ging mit einem anzüglichen Lächeln
über die unglaubliche Ungeschicklichkeit hinweg. Lady Millford
war aufs Äußerste beschämt. Womöglich hatte er
den Eindruck gewonnen, dass man sich auf Millford Hall kein
geeignetes Personal leisten konnte. Sie verbreitete sich deshalb in
einer
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