Pflicht und Verlangen
wirklich unausstehlich. Ich
frage mich, wie es Sir Alistair all die Jahre mit ihr aushalten
konnte. Aber so ist das eben, er hat einmal zu oft »Ja«
gesagt. Man erzählt sich ja, dass er sie eigentlich nicht
wollte, aber sein Vater die Heirat eingefädelt hat. Es tut uns
allen herzlich leid, dass er so krank ist, er war immer so ein netter
Mann.«
» Ja,
das ist er!«, stimmte Charlotte zu. »Und ihr habt schon
recht: Mit Lady Millford ist es nicht leicht auszukommen. Ich bin
froh, dass ich mich zurzeit intensiv mit dem Nachlass meines Vaters
beschäftigen kann. So habe ich einen Grund, mich zurückzuziehen
und wir können uns aus dem Weg gehen. Sie erwartet von mir, dass
ich mich recht bald verheirate und einen würdigen Erben für
den Millford’schen Titel gebäre.« Hier war es an
Edward, noch tiefer zu erröten – falls das überhaupt
möglich war. Er ließ ihre Hand los, als hätte er sich
verbrannt.
» Deine
Arbeit hätte uns wirklich sehr interessiert«, erwiderte
Mary in ehrlicher Freundschaft. »Aber ich glaube, wir müssen
möglichst bald abreisen, um Lady Millford nicht noch mehr zu
erzürnen. Zu dumm, dass Terency so die Flucht ergreifen musste.
Was ihm wohl in den Kopf gekommen ist? Die Sache mit dem Freund schien mir eine nicht sehr
glaubwürdige Ausrede. Es kam zu plötzlich!«
» Ja,
da hast du wirklich recht. Er kam mir auch recht seltsam vor,
irgendwie fahrig, als wäre etwas vorgefallen. Höchst
eigenartig, wo er doch sonst so übermäßig
selbstbewusst ist.« Charlotte neigte nachdenklich den Kopf.
»Nun, vielleicht gelingt es mir ja noch herauszufinden, was
seine wahren Beweggründe für die überstürzte
Abreise waren, denn die Geschichte mit seinem Freund glaubte ich
keine Sekunde. Vielleicht weiß einer der Dienstboten Näheres.
Ich werde mich einmal vorsichtig erkundigen. »Meint ihr denn,
es lag an mir?«, fragte Millicent nun kleinlaut. »Vielleicht
war ich gestern zu vorlaut. Aber ich wünschte, er hätte
mich einmal angesehen. Ich finde, er ist ein so schöner Mann!«
» Edward«,
meinte Mary, während sie ihre jüngere Schwester liebevoll
bei der Hand nahm, »du siehst, jetzt sind Frauengespräche
an der Tagesordnung. Wir ziehen uns jetzt zum Packen und zur näheren
Beleuchtung der Befindlichkeiten von the
right honourable Gaylord
Terency zurück und du kannst deine Dinge ordnen. Ich denke, eine
Stunde müsste bis zur Abreise reichen.« Als Edward sich
nur zögernd aus der Gruppe löste, scheuchte sie ihn mit
einem »Husch, husch!« lachend und mit den Händen
wedelnd fort.
Im Zimmer
wandte sich Mary ihrer Schwester zu. »Millicent, ich glaube,
ich kann dich beruhigen, dass du und dein wirklich nicht ganz
tadelloses Benehmen nicht der Grund der verfrühten Abreise von
Mr Terency waren. Dieser geheimnisvolle Grund findet sich in den
Gemäuern von Millford Hall«, fügte sie mit
übertriebener Düsternis hinzu, um dann wieder in Lachen
auszubrechen. »Unsere liebe Freundin Charlotte hier wird das
Geheimnis lüften und uns dann umgehend einen Brief schreiben,
nicht wahr? Wer weiß, welch finstere Dinge sich offenbaren
werden … vielleicht ist Mr Terency ja ein gejagter Spion und
musste schnell ins Ausland. Wäre das nicht romantisch?«
» In
der Tat wäre das das Einzige, was ich an Mr Terency romantisch
finden könnte«, bemerkte Charlotte trocken. »Ich
fürchte allerdings, dass ich wenig zu einer Romanheldin à
la Mrs
Radcliffe (21) tauge. Ich werde mich aber
bemühen, so heldenhaft wie möglich der Sache nachzugehen.
Und natürlich werde ich euch schreiben. Vielleicht darf ich euch
einmal besuchen? Ich hoffe, ihr seid mir wegen der Unhöflichkeit
meiner Tante nicht gram.«
» Wir
befehlen dir sogar, uns zu besuchen. Vorausgesetzt, dir macht ein
enges Haus voller Kindergeschrei nichts aus«, erklärte
Mary herzlich. »Ich vermute, vor allem Edward würde sich
über einen Besuch freuen. Am besten du kündigst an, wann du
uns besuchen kommen willst, dann kann er aus Oxford herbeieilen, um
in den Genuss deiner Aufmerksamkeit zu kommen. Ich denke, du hast
schon zwei Eroberungen gemacht.«
» Oh!«,
nun war es an Charlotte, zu erröten. »Ich hoffe nicht,
dass ich Edward zu sehr ermutigt habe. Ich mag ihn sehr. Aber er ist
für mich eher wie ein Bruder. Ich meine, ich hatte nicht im Sinn
…«
» Lass
gut sein, Charlotte!« Mary lächelte. »Ich weiß
doch, dass Edward bei dir keine Chancen hat. Das würde auch Lady
Millford aufs Äußerste missfallen. Ihr Favorit hat
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