Pflicht und Verlangen
ich werde
mit dir auch Feste und das Theater besuchen, wie du es dir wünschst.
Aber jetzt sorge ich mich um deine Gesundheit, meine Liebe, deshalb
wäre ich dir sehr verbunden, wenn du Dr. Fowler in den nächsten
Tagen einmal erlauben würdest, dich zu untersuchen.«
Nun
schien seine Frau besänftigt. »Also, dann fahren wir aber
wirklich bald nach London«, insistierte sie noch einmal, um
dann anzufügen: »Hier ist es ja so entsetzlich
langweilig!«
Battingfield,
der bei diesen Worten verärgert die Augenbrauen zusammenzogen
hatte, setzte zu einer Replik an, besann sich aber im letzten
Augenblick eines Besseren und sagte stattdessen: »Miss Millford
und ich haben uns gerade etwas überlegt, was der Langeweile
Abhilfe verschaffen könnte. Sie kommt mit einem Rätsel, das
ihr die Funde ihres Vaters aufgeben, nicht weiter und bittet uns um
unsere Hilfe.« Mit einem schnellen beredten Blick zu Charlotte
hinüber hinderte er sie daran, ihm zu widersprechen. Sie hatte
ja nicht direkt um Hilfe gebeten. Das wäre ihr gar nicht in den
Sinn gekommen. Allerdings verstand sie sofort was er vorhatte, nickte
unmerklich und wandte sich nun ihrerseits an ihre Gastgeberin.
»Tatsächlich wäre mir Ihr Rat eine große Hilfe,
Lady Battingfield. Sie haben ja so einen guten Blick für Muster
und Farben. Es gilt, einige zerbrochene Tonvasen mit antiken
Illustrationen wieder zusammenzusetzen. Wir hatten gerade überlegt,
die Stücke hierher zu holen ins Warme, damit Sie mir helfen
können. Ich wäre Ihnen überaus dankbar dafür.«
Gwendolyn
Battingfield blickte sie zweifelnd an, fühlte sich dann aber
doch geschmeichelt ob der Kompetenz, die Charlotte ihr zugesprochen
hatte und erklärte sich gnädig mit dem Vorhaben
einverstanden. Mit einem kleinen Augenblinzeln bedankte sich der
Captain für die unerwartete Schützenhilfe und läutete
dann nach Cyril, um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Kurz darauf
verließ er mit dem herbeigeeilten Butler zusammen das Zimmer.
Lady
Battingfield hatte sich wieder auf ihr Sofa zurückgezogen und
die Hände in den Schoß gelegt, während sich Charlotte
Gedanken machte, wo sie am besten den Arbeitsplatz einrichten sollte,
damit alle drei daran Platz nehmen konnten. Versuchsweise begann sie
kurzerhand, die Sessel vor dem Kamin auseinanderzuschieben. Dort
konnte durch den großen Kerzenleuchter bei der Sitzgruppe auch
der Raum am besten beleuchtet werden. Es schien der beste Platz im
Salon zu sein. Die Hausherrin machte indes keinerlei Anstalten, sich
an den Überlegungen ihres Gastes zu beteiligen. Sie schaute der
jungen Frau müßig zu und meinte dann, offenbar ihren
eigenen Gedanken nachhängend: »Wissen Sie, Miss Millford,
ich verstehe wirklich nicht, warum mein Mann dieses Landleben so
schätzt. Er ist so überhaupt nicht gesellig. Wenn ich das
damals schon geahnt hätte, hätte ich es mir noch einmal
überlegt, ob ich ihn nehme.«
Charlotte
schwieg betroffen. Was sollte sie zu dieser doch sehr privaten
Einlassung auch sagen? Wie könnte sie es wagen, sich überhaupt
dazu zu äußern – und das nicht nur aus Gründen
der Höflichkeit.
» Aber
wissen Sie, meine Liebe, er war eben ein überaus schneidiger
junger Mann, ziemlich gut aussehend, Sie verstehen? Und dazu Anwärter
auf einen Titel, schon Captain eines Kriegsschiffes, ausgezeichnet
mit einer Tapferkeitsmedaille und vermögend obendrein. Alle
jungen Damen der Gesellschaft hätten viel darum gegeben, wenn er
ihnen den Hof gemacht hätte. Nun, ich habe mir allerdings nicht
viel daraus gemacht«, sagte Lady Battingfield mit einem Anflug
von der Arroganz des Hochadels in der Stimme, »aber mein Vater
meinte, er wäre eine gute Partie, und so habe ich seinen Antrag
angenommen.«
Was
trieb Lady Battingfield nur an, sich plötzlich ihr gegenüber
so übermäßig kritisch über ihren Gatten und ihre
Ehe zu äußern? War sie vielleicht doch verärgert über
die ungewöhnliche Idee, sich den Forschungen Charlottes
gemeinsam zu widmen? Möglicherweise fühlte sie sich von
Charlotte und dem Captain dazu genötigt, geradezu überrumpelt?
Das wäre ja auch nicht unberechtigt gewesen. Unsicher sah
Charlotte ihre Gastgeberin an und meinte hilflos: »Das war doch
eine gute Entscheidung!«
» So,
finden Sie?«, gab Lady Battingfield mit gedehnter Stimme
zurück. »Nun ja, ich habe schon bemerkt, dass Sie mit
seinen Grillen mehr anfangen können.« Charlotte hielt
entsetzt den Atem an. Hatte ihre Gastgeberin womöglich bemerkt,
wie es um sie stand?
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