Pflicht und Verlangen
trauern, und
nicht zuletzt die Liebe. Aus all diesen Szenen können wir uns
ein Bild davon machen, wie es damals wirklich war. Mir scheint, das
ist die Mühe unbedingt wert, die man aufwenden muss, um den
Schleier der Vergangenheit zu lüften.«
Battingfields
Blick ruhte während dieser Rede, die sie mit steigender
Leidenschaft gehalten hatte, anerkennend auf ihr: »Miss
Charlotte, Sie versetzen mich immer wieder in Erstaunen. So wie Sie
es erklären, leuchtet wirklich jedem, so unbedarft er auch sein
mag, der unbedingte Nutzen der Altertumsforschung ein.«
Lady
Battingfield nickte auch etwas freundlicher und beugte sich über
die Arbeitsfläche: »Also dann, meine Liebe, wollen wir es
einmal versuchen, wenn es Ihnen so wichtig erscheint.«
Charlotte
zeigte ihren Helfern nun, woran sie zuletzt gearbeitet hatte. Es war
ein flaches, bauchiges Gefäß, eine Art Tonschale, in deren
Mitte eine Gruppe von Menschen zu sehen war. Die Tonstücke waren
recht fleckig und die dargestellte Szene ließ sich nur schwer
erkennen. Besonderes Kopfzerbrechen machte ihr die sitzende Figur in
der Mitte, die nur mit einem drapierten Tuch bekleidet war. Hier
komme sie einfach nicht weiter, klagte sie.
» Um
wen handelt es sich bei dieser Gruppe?«, fragte Battingfield
gespannt. »Sind es Götter, Feiernde oder stellt es gar
eine Liebesszene dar?«
» Ich
habe in einem der Bücher, die mir Dr. Banning über die
attischen Funde zur Verfügung gestellt hat, eine vergleichbare
Anordnung gefunden«, erwiderte Charlotte in angeregtem Ton,
»sehen Sie, hier ist es!« Sie schlug das Buch auf und
zeigte es Battingfield, der nun dicht neben sie getreten war, um die
Zeichnung ebenfalls in Augenschein zu nehmen. »Tatsächlich«,
befand er, »eine gewisse Ähnlichkeit ist nicht zu leugnen;
demnach eine Musikantengruppe.«
» Das
vermute ich stark«, pflichtete ihm Charlotte bei, »wobei
hier die Musikinstrumente, die abgebildet wurden, von besonderem
Interesse sind. Wäre es nicht spannend herauszufinden, welche
Arten von Musikinstrumenten man damals schon benutzte?«
» Das
ist doch bekannt«, seufzte Lady Battingfield gelangweilt,
»Harfen natürlich! Zumindest wird das immer gesagt.«
» Sehen
Sie, genau das ist die Frage. Woher stammt denn diese Behauptung? Auf
dieser Zeichnung finden wir auch einen Aulos-Bläser und zwei
Frauen mit schön geschmückten Rasseln. Sehen Sie die langen
Bänder, die an den Rasseln befestigt sind?«, sagte
Charlotte und hielt Lady Battingfield das Buch hin, die es aber nicht
entgegennahm.
Unbeirrt
fuhr sie fort, wandte sich aber wieder an Battingfield, der äußerst
gespannt lauschte: »Jenes Fundstück wurde aber in einem
Tempel des Dionysos gefunden. Die Instrumente dienten zu
orgiastischen Feiern. Unser Stück hier stammt aus einer Grabung
in Delphi. Also liegt eine Widmung an Apollo nahe. Schwer
vorstellbar, dass die gleichen Instrumente abgebildet sind.«
» Ach,
ich weiß nicht«, sagte Lady Battingfield, »ich
glaube, mir ist das doch alles zu langweilig.« Sie gähnte
herzhaft. »Ich bin auch schon wieder so müde. Ich denke,
es ist das Beste, ich begebe mich zur Ruhe. Sie können mir ja
morgen über diese seltsamen Instrumente berichten, wenn Sie noch
wollen.« Sie wandte sich an ihren Gatten: »Ich nehme an,
du wirst noch bleiben wollen, John. Du findest so etwas ja immer
interessant.« In ihrer Stimme schwang leichte Verachtung.
Battingfield,
der sich in die Lektüre vertieft hatte, reagierte aber kaum und
ließ nur ein abwesendes, zustimmendes Brummen hören. Seine
Frau zuckte daraufhin mit den Achseln und verließ den Raum.
Charlotte
war über diese Entwicklung des Abends nicht eben erfreut. Sie
hatte gehofft, dass es ihr gelingen möge, Lady Battingfield
etwas mehr zu interessieren. Es wurde ihr immer deutlicher, woran die
Ehe der Battingfields krankte. John Battingfield war ein
intelligenter, aufgeschlossener und leidenschaftlicher Mann, der sich
ein echtes Gegenüber wünschte. Eine Partnerin, die ihm
geistig ebenbürtig war, mit der er sein reiches Innenleben und
seine Neugier und Freude an der Welt um ihn herum teilen konnte. Lady
Battingfield hingegen war ein perfekt geformtes, sorgfältig
erzogenes, aber leider hohles Püppchen, das an nichts Interesse
hatte außer an Äußerlichkeiten. Was um alles in der
Welt, dachte Charlotte, hatte ihn getrieben, um die Hand dieser Frau
anzuhalten, die eigentlich so gar nicht seinem Wesen entsprach? Hatte
ihn als junger Mann ihre Schönheit
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