Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
nicht.«
»Angi ist
Chinesin?«
»Ja, und
eigentlich heißt sie Angelina. Sie stammt aus Singapur. Joe hat sie sozusagen als
Souvenir von einer seiner Geschäftsreisen mitgebracht.«
»Und wer
ist Jack?«
»Da hast
du vorher aber gut zugehört. Jack ist Joes Bruder. Sie nennt ihn Jack, doch alle
andern in der Familie nennen ihn Herkules. Er wohnt im selben Haus. – Ich finde,
du bist ganz schön neugierig.«
»Stimmt.
Vergiss nicht, dass ich jahrelang als Journalistin gearbeitet habe.«
»Schon gut.
Ich habe damit kein Problem. Bei dir weiß man wenigstens immer, woran man ist.«
»Joes Tod
berührt dich sehr, nicht wahr?«
»Ja, stimmt.
Ich habe lange gebraucht, um über die Trennung hinwegzukommen.«
»Wann habt
ihr euch getrennt?«
»Vor sieben
Jahren.«
»Kam es
zu einer Versöhnung?«
»Er wollte,
ich nicht. Aber böse bin ich ihm schon lange nicht mehr. Als er mich verließ, habe
ich mich für das Scheitern unserer Beziehung verantwortlich gemacht. Ist ja klar,
dass er mich verlässt, habe ich mir eingeredet. Wer will schon mit einer Frau zusammen
sein, die nicht mal richtig weiß, wer sie ist.«
»Macht dir
deine Kindheit im Heim immer noch so sehr zu schaffen?«
»Es ist
wie eine Stigmatisierung, die man nie wieder loswird«, erwidert Alex scharf. »Wenn
du zwölf Jahre lang systematisch gedemütigt wirst, gibt es keine Heilung für die
Seele. Ich komme mit meiner beschädigten Psyche zurecht. Mehr liegt nicht drin.«
»Andere
Menschen hatten auch eine schlimme Kindheit. Irgendwann kommt der Moment, wo du
dich von der Opferrolle verabschieden musst.«
»Siehst
du, genau da liegt das Problem«, ereifert sich Alex. »Menschen mit einer unbeschwerten
Kindheit können unser Leid nicht verstehen. Zum Überleben musste ich mein Herz verschließen
und hart werden lassen. Nur vordergründig spurte ich, denn sonst hätten sie mich
in eine geschlossene Erziehungsanstalt gesteckt. Meinen Willen konnten sie zum Glück
nicht brechen.« Es dauert eine Weile, bis sie fortfährt. »Als ich mich das erste
Mal richtig verliebte, war ich vierunddreißig. Vierunddreißig, verstehst du?«
»War es
dieser Joe, in den du dich verliebt hast?«
»Ja. Die
erlittene Entwurzelung verfolgt mich wie ein Schatten. Ich frage dich, kann man
seinen Schatten loswerden? – Nein! Es gibt immer noch Tage, da nimmt mich meine
Vergangenheit so in Beschlag, dass ich meine, verrückt zu werden.«
»Besteht
nicht die Gefahr, dass du immer deine Kindheit für deine Probleme verantwortlich
machst?«
Alex schnaubt
entrüstet. »Mir wurde die Kindheit und die Jugend geraubt, verdammt noch mal. Ich
frage dich, wie kann ich eine gesunde Identität entwickeln, wenn mir ein Stück davon
fehlt? Ob du es glaubst oder nicht, die Wahrheit ist und bleibt hässlich.«
»Alle Menschen
müssen zeitlebens Strategien entwickeln, um ihre Probleme zu bewältigen und um ein
einigermaßen erfülltes Leben zu führen«, kontert Viktoria.
»In Strategien
entwickeln bin ich eine Meisterin«, erwidert Alex verächtlich. »Ich habe früh gelernt,
dass Angriff die beste Verteidigung ist. Dennoch ist es verdammt schwer, immer hungrig
zu sein und nie satt zu werden.«
»Steht ihr
euch nahe, du und deine Wohnpartnerin?«, lenkt Viktoria das Gespräch auf Trix.
»Wir verstehen
uns ganz gut.«
»Wo arbeitet
sie?«
»In der
Altenpflege.«
»Ist sie
auch ein Heimkind?«
»Um Himmels
willen, nein. Ein Komplexhaufen genügt. Wir wohnen noch nicht lange zusammen. Wir
müssen uns erst noch aneinander gewöhnen.« Alex zwinkert ihr zu. »Du weißt ja wie
es ist. Freundschaft ist keine Gewähr für ein harmonisches Zusammenleben.«
27
Die Idee mit dem Kriminalroman kam
Viktoria nach Iris’ Tod. Doch erst nach ihrem Umzug nach Küsnacht setzte sie ihren
Plan in die Tat um.
Beim Schreiben
des Krimis durchlebte sie etliche Krisen. Und manchmal war sie drauf und dran, aufzugeben.
Obwohl sie in ihrem Leben viel geschrieben hatte, empfand sie es als schwierig,
Distanz zu schaffen zwischen ihrer Person und der Geschichte. Auch sich in den Figuren
auszuleben, ohne in ihnen erkennbar zu sein, stellte ein Problem dar. Der Feinschliff
erfolgte in drei Etappen. Als sie damit fertig war, stand der Frühling vor der Türe,
und sie buchte die Reise nach Ägypten.
Sie schrieb
in ihrer Zeit als Journalistin vor allem Artikel: Kolumnen, Glossen und Porträts,
auch Kultur- und Reiseberichte. Ihre Artikel waren in den Achtziger- und Neunzigerjahren
gefragt, weil sie frech
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