Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
Sinn, dass sie die Eier vergessen hat. Also kehrt sie um und
steuert zielstrebig auf das in Frage kommende Gestell zu. Kaum hat sie den Eierkarton
in der Hand, spürt sie von hinten einen heftigen Stoß, worauf ihr der Karton aus
der Hand fällt. Sie bückt sich nach der heruntergefallenen Schachtel. Wie durch
ein Wunder sind alle Eier unversehrt.
»Oh Entschuldigung«,
ertönt es hinter ihr.
Mit der
Schachtel in den Händen rafft sie sich auf und blickt in das erschrockene Gesicht
von Alex’ Wohnpartnerin Trix. »Hallo«, ist alles, was sie herausbekommt.
»Ich habe
eine Arbeitskollegin besucht«, erklärt Trix. »Na ja, und jetzt kaufe ich auch gleich
hier ein. Hast du Zeit? Darf ich dich zu einer Tasse Kaffee einladen?«
Zeit habe
ich, aber keine Lust, denkt sie. Zu Trix: »Ich komm grad vom Frühstück.« Doch als
sie ihr enttäuschtes Gesicht sieht, willigt sie trotzdem ein.
Kurz darauf sitzen sie im Café Chocolat .
»Es nervt
mich, dass man in den Lokalen nicht mehr rauchen darf«, beklagt sich Trix, nachdem
sie die Bestellung aufgegeben hat.
Viktoria
geht nicht auf ihre Klage ein. »Alex hat mir erzählt, dass du in der Altenpflege
arbeitest. Ganz schön anspruchsvoll.«
»Wie man’s
nimmt«, gibt sie zurück. »Viele alte Menschen leiden unter Altersdepression. Das
erschwert die Betreuung. Aber was mir persönlich zu schaffen macht, ist der ständige
Zeitdruck. Wir dürfen nur noch Leistungen erbringen, die sich weiterverrechnen lassen.«
»Seid ihr
nicht vielfach die einzige Bezugsperson für die alten Menschen?«
»Doch, aber
für persönliche Gespräche fehlt die Zeit.« Trix lehnt sich zurück und faltet ihre
Hände im Nacken.
»Moderne
Sklaverei würde ich das nennen«, erwidert Viktoria empört. »Ihr arbeitet schließlich
nicht mit Maschinen, sondern mit Menschen.«
»Wem sagst
du das. Kaum jemand hält diesen Stress auf die Dauer aus. Kein Wunder, dass meine
Kolleginnen so häufig krank sind.«
Viktoria
starrt fasziniert auf Trix’ lange Finger, die nervös auf der Tischplatte trommeln,
als folgten sie dem Takt eines Musikstücks.
»Die erbrachte
Leistung muss mit der Vorgabe der Krankenkasse auf die Minute übereinstimmen.« Trix
schnaubt verächtlich und fährt fort: »Kostenoptimierung nennt sich das. Dabei geht
es nicht primär um die Bedürfnisse unserer Klienten sondern um eine profitable Kostengestaltung.«
»Wenn ich
dich richtig verstehe, so müssen mit einem minimalen Zeitaufwand maximale Leistungen
erbracht werden«, gibt Viktoria zurück.
»Du bringst
es auf den Punkt. Unsere Klagen und Verbesserungsvorschläge werden zwar angehört,
aber umgesetzt werden sie nicht. Zum Glück arbeiten bei uns nur starke, lebenserfahrene
Frauen.«
Frauen wie
sie, denkt Viktoria und mustert die kräftige Gestalt ihrer Gesprächspartnerin.
»Das Alter
ist voller Tücken, findest du nicht?«
»Doch«,
gibt ihr Viktoria recht. »Trotzdem tut unsere Gesellschaft so, als wäre sie jung
und dynamisch, dabei steht sie auf alten, wackeligen Beinen. Ich finde, dass bei
uns mit alten Menschen umgegangen wird, als seien sie abgelaufene Ware.«
Trix grinst.
»Da ist was dran. Zum Glück liebe ich meine Arbeit. Ich kann da helfen, wo Hilfe
benötigt wird. Außerdem mag ich alte Menschen.«
»Arbeitest
du in Meilen?«
»Nein, in
der Stadt. Wir sind ein eingearbeitetes und aufeinander abgestimmtes Team, das zusammenhält
und sich gegenseitig unterstützt.«
»Verstehe.«
»Und was
ist mit dir?«, ändert Trix den Verlauf des Gesprächs. »Alex erwähnte, dass du früher
als Journalistin gearbeitet hast?«
»Stimmt.
Doch seit dem Tod meines Mannes bin ich in der komfortablen Lage, zu tun und zu
lassen, was ich will.«
»Ist das
in deinem Alter nicht etwas verfrüht?«
»Ganz im
Gegenteil. Es ist für mich eine Wohltat, nicht mehr dem Geld hinterherrennen zu
müssen. Es ist auch nicht so, dass ich nichts mehr arbeite. Im nächsten Frühjahr
erscheint mein erster Kriminalroman.«
»Das hört
sich interessant an. Aber warum schreibst du ausgerechnet Kriminalromane?«
»Dafür gibt
es keinen Grund oder vielleicht doch. Ich habe mit dem Buch den gewaltsamen Tod
einer Freundin verarbeitet.«
»Ein autobiographischer
Roman also?«
»In gewisser
Weise, ja.« Noch bevor Trix weiterfragen kann, wechselt sie das Thema. »Wie geht
es Alex?«
»Es geht
so. Der Tod ihres Exfreundes macht ihr zu schaffen.«
»Das kann
ich gut verstehen.«
»Tja, was
soll ich dazu sagen?«, fährt Trix fort.
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