Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
nickt.
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Valentins Handy macht sich mit einem
Surren bemerkbar.
Als er auf
dem Display sieht, dass es Pola ist, entschuldigt er sich bei Viktoria, steht auf
und zieht sich in die Wohnung zurück.
Sein Kollege
teilt ihm mit, dass Rofflers Wagen von den Kriminaltechnikern noch einmal minutiös
auseinandergenommen und untersucht worden sei. Abgesehen von Rofflers Fingerabdrücken
und ein paar langen schwarzen Haaren hätten sie jedoch nichts gefunden. Es gäbe
zwar Textilfasern, wahrscheinlich vom Lappen, welchen der oder die Täter für das
Reinigen des Autoinnern verwendet haben. Jedoch weise keine einzige Spur auf Herkules
hin. Wie zu erwarten war, habe man in Angelina Rofflers schwarzem Mercedes-Cabriolet
Fingerabdrücke von ihrem Mann gefunden.
Bevor Pola
auflegt, macht er mit ihm ab, sich in einer Stunde im Kripo-Gebäude zu treffen.
Der Fall lässt ihm keine Ruhe. Es fehlt im Moment an Spuren, Zeugen und Geistesblitzen.
Es ärgert ihn, dass er sozusagen vor dem Nichts steht, obwohl es mehrere Verdächtige
mit einem Motiv gibt.
Hat Engel
seinen Liebhaber vergiftet? Giftmorde sind in der Regel geplante Delikte. Er hofft,
dass wenigstens die DNA-Abgleiche Licht in den Fall bringen werden.
Als er auflegt,
kommt ihm Viktoria entgegen.
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Am frühen Morgen des folgenden Tages
begibt sich Viktoria in die nahegelegene Waldschlucht.
Zu dieser
frühen Stunde muss sie das Küsnachter Tobel nicht mit anderen Menschen teilen, die
aus der Stadt hierher strömen, um dem Lärm und der Hektik zu entfliehen.
Beim Alexanderstein bleibt sie stehen.
Es wird
vermutet, dass der markante Gletscherfindling, oben an der Hangkante liegend, während
der Überschwemmung von 1779 unterspült und ins Tobel hinunter gerutscht war. Vielleicht
hatte aber auch die Natur selbst den markanten Stein vor Ort liegengelassen.
Seiner Form
halber wird der Alexanderstein auch Wöschhüüsli-Stei genannt.
Eine Sage
erzählt, dass früher einige Frauen regelmäßig hinauf ins wilde Tobel gingen um ihre
Wäsche zu waschen. Sie stellten ihre Waschkörbe rund um den Stein ab. Doch sie haben
sich nicht wie brave Hausfrauen ihrer Arbeit gewidmet, sondern sich an den damals
noch kaum bewaldeten Hang gelegt und miteinander geplaudert, bis sie davon müde
wurden und einnickten.
Daraufhin
sollen Zwerge hinter dem Stein hervorgekommen sein, die schmutzige Wäsche aus den
Körben genommen und sie im Bach gewaschen haben. Zum Trocknen, so erzählt man sich
weiter, legten die Zwerge die Wäsche auf den sonnenwarmen Stein.
Doch das
war noch nicht alles. Kaum war die Wäsche trocken, packten die Erdwesen sie flink
zusammen, trugen sie in ihre Höhle und glätteten sie mit heißen Steinen. Am Abend
fanden dann die Frauen alles fein säuberlich zusammengelegt und frisch duftend in
den Körben neben dem Wöschhüüsli -Stein.
Tja, doch
dann wollte es eine neugierige Frau eines Tages genauer wissen. Oder war es vielleicht
sogar einer der Ehemänner, den die ausgelassene Stimmung der Frauen misstrauisch
gestimmt hatte?
Wie dem
auch sei, die Frau soll neben dem Stein ein Loch gegraben und sich dort auf die
Lauer gelegt haben. Seither hat man beim Wöschhüüsli -Stein keinen einzigen
Zwerg mehr gesichtet.
In Gedanken versunken schlendert
Viktoria den Bach entlang und vergisst die Zeit. Eine besänftigende Ruhe liegt über
dem Tobel. Hier gelingt es ihr gut, nach innen zu schauen. Wie schön es doch ist,
verliebt zu sein, denkt sie glücklich.
Sie sieht
im Bach eine Wasseramsel. Sie hat mit eigenen Augen gesehen, dass dieser kleine
Vogel der Kälte trotzt, selbst wenn das Wasser im Winter zu Eis gefriert. Schön
glänzt sein schwarzgraues Gefieder, wobei die weiße Brust dazu einen klaren Kontrast
bildet. Aufgeregt vollführt er Kniebeugen und schwuppdiwupp taucht er unter. Als
einziger Singvogel beherrscht er auch das Tauchen.
Viktoria findet, dass, wer beim
Wort Tobel an eine Schlucht denkt, hier nicht auf seine Rechnung kommt. Man wähnt
sich hier nicht in einem unberührten Stück Natur. Es fehlt der Reiz einer wilden,
unwegsamen Schlucht. Den Bäumen ist es nicht vergönnt, alt und knorrig zu werden.
Vom Sturm gefällte Stämme und Äste werden meistens entfernt. Sogar die Blätter am
Boden werden im Spätherbst von elektrischen Laubsaugern von den Pfaden entfernt.
Große Überraschungen
gibt es hier also keine. Aber Viktoria weiß aus Erfahrung, dass es durchaus möglich
ist, einem über den Weg huschenden Reh oder einem Graureiher
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