Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
»Komm, lass uns jetzt schlafen gehen.
Ich brauche dringend ein bisschen Ruhe.«
Kurz danach liegt er eng an Viktoria
geschmiegt im Bett, kann aber nicht einschlafen. Seine Exfrau kommt ihn in den Sinn.
Er vermochte nie, sie zufriedenzustellen. Dieses Gefühl, nie angekommen zu sein,
war frustrierend. Sie hatte ihn im besten Falle zugelassen, ihn ertragen, doch nie
hat er sich als Mann angenommen gefühlt.
Er gibt
Viktoria zu verstehen, dass er mit ihr schlafen möchte. Doch als sie sich ihm bereitwillig
hingibt, fällt seine Erektion zusammen.
61
Es kann nicht schaden, von zu Hause
aus ein paar Erkundigungen einzuziehen und ein bisschen Öl ins Feuer zu gießen,
erwägt Viktoria am nächsten Morgen. Sie wachte kurz auf, als Valentin noch vor Tagesanbruch
ihre Wohnung verließ, doch danach war sie wieder eingeschlafen.
Die Zwischenfälle
der letzten Tage haben sie verletzlich, gleichzeitig aber auch wütend gemacht. Der
Äthergeruch stößt ihr immer noch auf, wenn auch weit weniger intensiv als am Tag
zuvor. Das Übelkeitsgefühl ist ebenfalls noch nicht ganz verschwunden.
Dieser Mord
ist jetzt ihre ganz persönliche Angelegenheit. In ihren Augen gibt es nur noch zwei
Möglichkeiten: Entweder, sie liefert sich der Angst aus und schließt sich in ihre
Wohnung ein, bis der Fall geklärt ist, oder sie geht zum Gegenangriff über.
Die Entscheidung
fällt ihr nicht schwer, denn untätig herumsitzen kommt für sie nicht in Frage. Sie
nimmt sich vor, Valentin mit ihren persönlichen Recherchen nicht mehr in die Quere
zu kommen. Sie will die Liebesbeziehung, die sich zwischen ihnen angebahnt hat,
auf gar keinen Fall gefährden.
Vor ihrem
inneren Auge beginnt sich schemenhaft das Profil des Täters abzuzeichnen. Von nun
an wird sie sich Notizen machen und alles aufschreiben, was ihr wichtig erscheint.
Sie wird so lange die einzelnen Puzzlesteine zusammenfügen, bis das Bild komplett
ist.
Der Überfall
beim Pflugstein beweist, dass die Polizei auf der richtigen Spur ist, und sich der
Mörder tatsächlich unter den mutmaßlichen Verdächtigen befindet. Und was ihren Velounfall
angeht, so könnte auch dieser als ein Angriff auf ihr Leben oder zumindest als eine
Warnung gedeutet werden.
Als Erstes ruft sie Herkules an.
Seine Nummer findet sie im elektronischen Telefonverzeichnis.
»Hallo«,
ertönt eine harte Stimme.
»Ich bin
eine Freundin von Angelina. Mein Name ist Viktoria Jung.« Nichts. Alles, was sie
hört, ist sein schwerer Atem. »Herkules, sind Sie noch dran?«
»Was wollen
Sie?«, fragt er schroff.
Sie antwortet:
»Wie wär’s mit einer Entschuldigung? Sie haben mir am Donnerstagabend einen gehörigen
Schrecken eingejagt.«
»Interessiert
mich nicht.«
»Aber das
sollte es. Ich werde es Ihnen gerne erklären. Ich war mit meinem Fahrrad auf dem
Weg nach Meilen. Bei einer Linksabbiegung haben Sie mich mit Ihrem Geländewagen
fast über den Haufen gefahren.«
»Nicht möglich«,
kontert er mürrisch.
»Ich habe
Sie im Auto gesehen«, pokert sie. »Und mir auch Ihr Nummernschild gemerkt.«
»Das geht
mich nichts an«, hält er stur fest.
Ihre Stimme
schwillt an. »Ich hätte tot sein können.«
»Ich muss
jetzt auflegen. Meine Schwägerin wartet auf mich.«
»Warten
Sie. Ich persönlich glaube nicht, dass Sie Ihren Bruder getötet haben.«
»Kehren
Sie vor Ihrer eigenen Türe«, unterbricht er sie ruppig.
»Die Polizei
sieht das etwas anders.«
»Geht mich
nichts an.«
»Mir scheint,
dass Sie Angelina sehr mögen.«
»Was geht
Sie das an?«
»Ist Ihnen
bewusst, dass Ihre Schwägerin ebenfalls unter Mordverdacht steht?«
»Sparen
Sie sich ihr blödes Geschwätz.«
»Die Polizei
denkt, dass Sie und Angelina Ihren Bruder getötet haben«, gibt sie unverblümt zum
Besten.
Einen Moment
lang herrscht Stille.
Dann fährt
sie fort: »Sie und Angelina erben durch Ihres Bruders Tod eine Menge Geld. Geldgier
ist ein gutes Mordmotiv.«
Herkules
will sie unterbrechen, doch sie lässt ihn nicht. »Sie konnten es Ihren Eltern nie
recht machen. Immer war Joe besser und erfolgreicher. Das muss sehr schwer für Sie
gewesen sein, nicht wahr?«
Sie hört
ein Klicken in der Leitung. Es ärgert sie, dass Herkules einfach aufgelegt hat.
Resolut wählt sie Angelinas Handynummer. Als diese sich meldet, wünscht sie ihren
Schwager zu sprechen.
Angelina
bittet sie um einen Moment Geduld. Im Hintergrund hört sie Herkules’ bellende Stimme,
doch sie kann nicht verstehen, worüber die beiden
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