Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
jetzt nicht möglich. Wir sind gerade beim Essen. Mein Mann feiert
heute seinen Sechzigsten.«
»Ich ermittle
in einem Mordfall. Jede Stunde und jede Minute zählen«, unterbricht er sie barsch.
»Ich stehe kurz davor, den Fall zu lösen. Ich brauche dringend einen Hausdurchsuchungsbefehl
für Mannharts Wohnung und einen Vorführbefehl. Es eilt.«
»Besteht
ein dringender Tatverdacht?«
»Ja.«
»Kann das
nicht bis morgen warten?«, fährt die Staatsanwältin gereizt fort.
»Nein.«
»Also gut,
ich treffe Sie in einer Stunde in Ihrem Büro. Aber seien Sie pünktlich. Ich habe
nicht viel Zeit. Am Montagmorgen erwarte ich alle Akten mit den Befragungen und
Gesprächsprotokollen auf meinem Schreibtisch.«
Bevor er
ihr Paroli bieten kann, ist die Leitung tot.
81
Möller verlässt das Kripo-Gebäude
schnellen Schrittes. Er überquert die Kasernenstrasse und schreitet über die nur
wenige Minuten von der Kripo-Leitstelle entfernte Militärbrücke.
Die Lösung
dieses Mordfalls liegt seines Erachtens darin, dass er das eine tut und das andere
nicht lässt und auf gar keinen Fall voreilige Schlüsse zieht.
Nur zu gut
weiß er, wie empfindlich die Staatsanwältin auf seine ruppige Art reagiert. Und
er braucht jetzt dringend ihre Rückenstärkung. Das ständige Hin und Her in diesem
nervenzerreißenden Fall und die Angst um Viktorias Leben haben ihn dünnhäutig gemacht.
Zum Glück bleibt ihm bis zum Meeting noch genügend Zeit, um seinen Kopf auszulüften.
Beim Theater
der Künste biegt er rechts ab in die Gessnerallee. Nach wenigen Schritten erreicht
er den Nüschelersteg. Gleich daneben nimmt er die zwischen Büschen versteckte Metalltreppe,
die ihn bergab zum Kanal Schanzengraben führt.
Dieser Kanal
überlebte die Schleifung der Wehranlagen nur, weil er als zweiter Seeabfluss gebraucht
wurde. Während der Industrialisierung verkam der Schanzengraben zu einem unattraktiven
Fabrikskanal. Mitte der Achtzigerjahre begann man aber, den Schanzengraben zu neuem
Leben zu erwecken, indem man ihn in eine Fußgängerpromenade umwandelte.
Heute ist
der Kanal sein Rückzugsort, wo er ungestört nachdenken kann.
In einer
Zickzacklinie führt der Weg über Holzstege und Sandsteinplatten, zum Teil dicht
am Wasser, von der Usteribrücke bis zum Seeausfluss beim Bürkliplatz.
Mit gesenktem
Blick, die Arme auf dem Rücken verschränkt, spaziert er gedankenverloren den Kanal
entlang. Obwohl es auch am Schanzengraben nie ganz still ist, so ist es doch merklich
ruhiger. Nur das leichte Rauschen des Autoverkehrs im Hintergrund erinnert ihn daran,
dass er sich mitten in der Stadt befindet.
Er kommt
bei der Männerbadi vorbei, die sich zwischen der neuen Börse und dem Hallenbad
City direkt unter dem alten Botanischen Garten versteckt. So wie es in der Limmat
am Stadthausquai eine Badeanstalt nur für Frauen gibt, so ist diese hier Männern
vorbehalten. Er hat es sich im Sommer zur Gewohnheit gemacht, ab und zu gleich daneben
in der Rimini -Bar ein Bier zu trinken.
Doch an
diesem milden Abend hat er kein Auge für die vielen bezaubernden Winkel und Sehenswürdigkeiten
des Schanzengrabens. Er schaut nervös auf seine Armbanduhr. Es ist höchste Zeit,
umzukehren. Tief in Gedanken versunken macht er sich auf den Rückweg. Dabei übersieht
er eine Fußgängerin und stößt ungebremst mit ihr zusammen.
»Können
Sie nicht aufpassen!«, fährt ihn die Frau wütend an.
Er murmelt
eine Entschuldigung und geht weiter.
»He, Vali«,
ruft ihm die Frau nach. »Warte.«
Er bleibt
stehen und dreht sich widerstrebend zu ihr um.
»Mit dir
habe ich hier am wenigsten gerechnet.« Die Mundwinkel der Frau verziehen sich spöttisch.
Dass er
seiner Exfrau Maya ausgerechnet hier am Kanal begegnet, stört ihn außerordentlich,
denn an diesem Ort will er seine Ruhe haben. Doch etwas anderes irritiert ihn noch
viel mehr.
Verblüfft
stellt er nämlich fest, wie sehr sich Maya und Viktoria äußerlich ähneln. Beide
sind groß gewachsen mit ausgeprägten weiblichen Kurven. Beide tragen ihre dichten
kastanienbraunen Haare schulterlang. Auch haben beide die Angewohnheit, ihre vollen
Lippen rot zu schminken. Sogar die Augen ähneln einander, wenn auch nicht in der
Farbe. Sie drücken Lebensfreude und Humor aus. Und wenn die Leidenschaft sich in
ihnen einnistet, dann glänzen sie gefährlich.
»Zeit für
einen Kaffee?«, fragt ihn Maya. »Ich lade dich ein.«
»Leider
nicht«, erwidert er kurz angebunden und erhebt zum Abschied die Hand. Dann
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