Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
macht
er sich im Eilschritt davon. Er spürt ihren Blick im Rücken, doch es lässt ihn kalt.
Kurz vor
Erreichen der Zeughausstrasse klingelt sein Handy. Rofflers Frau teilt ihm mit,
dass ihr Schwager Herkules noch nicht zurückgekehrt sei und sie sich um ihn Sorgen
macht. Er versucht, sie zu beruhigen und bittet sie, ihn auf dem Laufenden zu halten.
82
Auf die Minute pünktlich trifft
die Staatsanwältin in der Kripo-Leitstelle ein. Wie ein aufgeregtes Huhn stöckelt
sie in ihrer weißen Nerzstola und dem engen schwarzen Kleid um Möller herum und
attackiert ihn mit Fragen.
Er hätte
sie in diesem Moment am liebsten auf den Mond geschossen. Stattdessen rekapituliert
er geduldig, was er in Erfahrung gebracht hat und listet ihr auch alle Ungereimtheiten
auf. Schließlich lenkt Kurtz ein und verspricht, alle nötigen Maßnahmen einzuleiten.
Kaum ist die Staatsanwältin weg,
rasen er und einer seiner Kollegen mit Blaulicht durchs Seefeld.
Engel widersetzt sich seiner Festnahme
nicht.
83
Viktoria weiß nicht, wo sie ist,
als sie die Augen aufschlägt und in das besorgte Gesicht von Valentin schaut.
»Was ist
geschehen?«, murmelt sie mit matter Stimme.
»Du wurdest
vorgestern ohnmächtig im Wald aufgefunden.« Er streichelt ihr zärtlich über die
Wangen.
»Im Wald?«
Sie sieht ihn verwirrt an.
»Ja, ein
alter Mann hat dich ohnmächtig im Küsnachter Tobel gefunden, in der Nähe der Tobelmüli .«
»Aber was
habe ich dort gemacht?«, erkundigt sie sich verdattert.
»Lass uns
später darüber reden. Der Arzt hat gesagt, dass du jetzt viel Ruhe brauchst.«
Sie starrt
an ihm vorbei ins Leere. Das Sprechen bereitet ihr offensichtlich Mühe. »Ich kann
mich an nichts erinnern.«
»Das ist
völlig normal. Du hast einen großen Schock erlitten. Aber jetzt bist du in Sicherheit,
und ich werde dafür sorgen, dass du bald wieder auf die Beine kommst«, tröstet er
sie.
Sie antwortet
mit einem nachdenklichen Nicken.
»Gestern
Abend bist du zum ersten Mal aufgewacht, doch danach bist du gleich wieder eingeschlafen.«
»Du warst
hier gestern?«
Er nickt.
»Und warum
kann ich mich nicht erinnern?«, wirft sie verzweifelt ein.
»Zerbrich
dir darüber nicht den Kopf. Hast du Schmerzen?«
»Schmerzen,
nein, aber mein ganzes System fühlt sich irgendwie taub an.«
»Das wird
bald vorbei sein«, beruhigt er sie. »Der Arzt sagt, dass es an ein Wunder grenzt,
dass du wieder bei Bewusstsein bist.«
Ein Lächeln
huscht über ihr Gesicht. »So schnell wirst du mich nicht los, Valentin.« Sie drückt
seine Hand. »Ich bin froh, dass du hier bist. Ich fühle mich so durcheinander.«
»Kein Wunder,
nach all dem, was du mitgemacht hast.«
»In meinem
Kopf ist die Hölle los. Das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, was davon wahr
ist.«
»Glaube
mir, von nun an wird es dir jeden Tag ein bisschen besser gehen. Und vielleicht
kannst du schon bald nach Hause.«
»Hast du mir meine Handtasche und meine Kleider gebracht?«
»Ja, gestern.«
Sie schenkt
ihm einen dankbaren Blick. »Aber du hast doch gar keinen Wohnungsschlüssel?«
»Doch, deine
freundliche Nachbarin hat mir einen gegeben.«
Sie fährt
niedergeschlagen fort: »Ich weiß nicht mal was für ein Tag heute ist.«
»Dienstag,
der zehnte Mai«, erklärt er ihr geduldig.
»Und wie
spät ist es?«
»Fünf Uhr
nachmittags.«
»Also habe
ich die letzten zwei Tage praktisch nur geschlafen?«, fragt sie überrascht.
»So ist
es«, bestätigt er. »Aber glaube mir, schlafen ist die schnellste Genesung.«
»Ich will
nach Hause.« Sie hievt sich mühsam hoch, doch der Schwindel zwingt sie, sich wieder
hinzulegen.
»Das kann
ich gut verstehen, aber du musst dich noch ein bisschen gedulden«, versucht er,
sie zu trösten.
»Gedulden,
du hast gut reden.«
Eine rothaarige
Krankenschwester mit Sommersprossen im Gesicht betritt das Zimmer. »Wie fühlen Sie
sich, Frau Jung?«, fragt sie munter.
»Lassen
Sie mich meinen Vater zitieren«, gibt sie zur Antwort. »Er pflegte zu sagen: Es
könnte besser sein. Es könnte aber auch wesentlich schlechter sein.«
Die Frau
schmunzelt. »Gut, ich werde jetzt Ihre Temperatur messen.« Nach einer Weile. »Sie
machen schnelle Fortschritte, Frau Jung, das Fieber ist gesunken. Das Antibiotikum
scheint bei Ihnen gut zu wirken.«
»Ich wäre
froh, wenn Sie die Infusion entfernen könnten«, bittet sie die Pflegerin. »Die brauch
ich jetzt nicht mehr.«
Die rothaarige
Frau kommt ihrem Wunsch nach und fragt, ob sie
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