Pflugstein: Kriminalroman (German Edition)
Sache.
»Wer?«,
fragt Engel verdattert.
»Viktoria.«
»Woher soll
ich das wissen?«
»Sie haben
Sie gestern getroffen. Also, wo ist sie?«
»Ja, ich
war gestern mit ihr in der Rössli -Bar, aber nur kurz. Seither habe ich sie
weder gesehen noch etwas von ihr gehört.« Engel lässt sich ermattet aufs Sofa fallen.
»Ist es
nicht eigenartig? Sie sind der Letzte, der Roffler lebend gesehen hat, und Sie sind
ebenfalls der Letzte, der Viktoria gesehen hat.«
Engel zuckt
zusammen. »Unterstellen Sie mir schon wieder einen Mord?«
»Sollte
ich?«, gibt er sarkastisch zurück.
»Mein Gott,
Viktoria ist meine Freundin.«
»So wie
Roffler Ihr Freund war?«
Engel verstummt
und blickt zum Fenster hinaus. »Gehen Sie jetzt. Ich muss Ihnen keine weiteren Auskünfte
mehr geben. Wenden Sie sich dazu an meinen Anwalt.«
»Ich könnte
Sie auf der Stelle festnehmen«, droht Möller.
»Dann tun
Sie es, aber lassen Sie mich endlich in Ruhe.«
»Hier ist
meine Nummer«, lenkt er um. »Rufen Sie mich umgehend an, falls Sie von ihr hören
sollten und halten Sie sich zur Verfügung.«
Ohne sich
zu verabschieden, verlässt er Engels Wohnung und fährt an die Zeughausstrasse zurück,
um sich mit Pola zu beraten.
78
Eigentlich war Leonard Bohnenblust
an diesem Sonntag aufgebrochen, um Pilze zu sammeln.
Obwohl er
sich ursprünglich auf den Pfannenstiel begeben wollte, landete er doch wieder im
Küsnachter Tobel. Er vermied jedoch den rege begangenen Tobelweg. Dies war zwar
umständlich, weil steile Nagelfluhbänke, kleine Schluchten und Bäche das Fortkommen
behindern. Aber er streift gerne kreuz und quer durch den Wald, auch wenn er manchmal
auf den abfallenden Hängen ins Rutschen kommt. In der Einsamkeit kann er sich am
besten von seiner Frau erholen, die dauernd an ihm herumnörgelt.
Tatsächlich
hatte er einige noch völlig geschlossene, rein weiße Schopf-Tintlinge gefunden.
Er weiß auch schon, wie er sie zubereiten wird: Panieren und dann in Butter ausbacken.
Um diese Jahreszeit hatte er an seinem früheren Wohnort immer nach Speisemorcheln
gesucht. Und meistens fand er so viele, dass er sogar noch welche trocknen konnte.
Er liebt den wunderbar würzigen Geruch der Morcheln. Rindsfiletwürfel in Morchelsauce,
dazu Kartoffelstock – ihm läuft das Wasser im Mund zusammen. Leider hat er in dieser
Gegend bis jetzt nur ungenießbare Stinkmorcheln gefunden.
Seit knapp
einem Jahr wohnt er mit seiner Frau auf der Forch, um näher bei ihrer Tochter und
den Enkelkindern zu sein. Bis zu seiner Pensionierung waren sie im Berner Seeland
zu Hause, wo er aufgewachsen war. Es war der Wunsch seiner Frau gewesen, hierherzuziehen.
Er wäre lieber im Seeland geblieben.
Bohnenblust
konsultiert seine Armbanduhr. Eigentlich sollte er langsam umkehren, damit sich
seine Frau nicht unnötig um ihn Sorgen macht. Mit seinen dreiundsiebzig Jahren ist
er langsamer unterwegs als früher, als er noch als Gemeindeschreiber berufstätig
war.
Bis zur Tobelmüli ist es nicht mehr weit, erwägt er mit einem Blick auf die Karte.
Von dort würde er dem Wangerbach nach Wangen folgen und dann wäre er schon fast
daheim.
Doch als
er zu seiner Linken ein Waldstück mit hochstämmigen Fichten sieht, entscheidet er
sich für einen kleinen Abstecher. Er verlässt die Straße und biegt in einen sumpfigen
Pfad ein, der nach ein paar Hundert Metern bei einer eingezäunten Kuhweide endet.
Er ärgert sich über seine schmutzig gewordenen Schuhe, weil er weiß, dass seine
Frau ihm deswegen wieder die Ohren voll jammern wird.
Er lässt
seinen Blick den Hang hinunter schweifen und stellt erstaunt fest, dass sich von
hier oben der Küsnachter Tobelweg gut überblicken lässt. Auch scheint der Waldboden
geradezu ideal für Fichtensteinpilze und Speise-Röhrlinge.
Ein lautes
raues Rätschen lenkt seine Aufmerksamkeit auf die Bäume. Er erspäht die schwarzen
Umrisse zweier großer Vögel, die einander nachjagen. Das Dchää-dchää hört
sich wütend an. Wahrscheinlich ein Revierkampf, überlegt er. Leider kann er im Gegenlicht
nicht erkennen, um was für Vögel es sich handelt. Einmal geradlinig, dann im Zickzack
und schließlich im Kreis jagen sie hintereinander her und kreischen. Erst als der
eine Vogel das Weite sucht, kehrt Ruhe ein.
Der alte
Mann macht sich auf den Heimweg. Er ist schon fast in Wangen angelangt, als er erschrocken
feststellt, dass er den Korb mit den Pilzen stehen gelassen hat. Umständlich zieht
er sein Handy aus der Hosentasche und
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