Pforten der Nacht
neigen und Kustos blasser werden denn je.
»Gott ist kein Ding so sehr zuwider wie die Zeit«, begann Bruno leise. Keinen im Saal gab es, der nicht voller Spannung gelauscht hätte. »Nicht allein die Zeit, auch das Haften an der Zeit. Und nicht allein das Haften, schon das Berühren von Zeit. Und nicht allein das Berühren, schon der bloße Geschmack und Geruch von Zeit.«
»Heuchler!«, presste Johannes Kustos zwischen schmalen Lippen hervor. »Als ob er bereits bar jeder Sünde im Besitz der vollkommenen Erleuchtung wäre und direkt neben Gottes Thron stünde!«
»Ich bin mir dessen so gewiss, wie ich lebe: dass mir kein Ding so nahe ist wie Gott. Den Himmel rührt nicht Zeit noch Raum«, fuhr de Berck scheinbar ungerührt fort. Nur wer ganz genau hinschaute, sah, wie seine Augen zu funkeln begannen. »Alle leiblichen Dinge haben darin keinen Raum, und auch in der Zeit ist er nicht. Sein Lauf ist ohne Zeit, aber von seinem Lauf kommt die Zeit.« Er trat näher zum Tisch, als ob er das Chronometer des Färbers anfassen und aufnehmen wollte, ließ es aber bleiben. »Nichts aber hindert die Seele so sehr an einer Erkenntnis Gottes wie Zeit und Raum. Denn Zeit und Raum sind Stücke, und Gott ist Eins.« Seine Stimme schwoll an. »Soll die Seele Gott sehen, so muss sie auf kein Ding stehen in der Zeit.«
»So seid Ihr also dagegen?«, vergewisserte sich Walram. »Und haltet die Konstruktion solch neuartiger Apparate gar für verwerflich oder gefährlich?«
»Ich bin weder Mathematiker noch Astronom oder gar Gelehrter, der aufgrund seines Wissens ehrlichen Herzens darüber befinden könnte, was die Welt braucht oder nicht braucht, sondern nur ein einfacher Mönch«, erwiderte Bruno de Berck vorsichtig. »Mir geht es vor allem um die menschliche Seele. Um sie allein. Vermöchte die Seele von der Zeit berührt zu werden, sie wäre nicht Seele. Und vermöchte Gott von der Zeit berührt werden, er wäre nicht Gott. Gesetzt aber, es hätte die Zeit mit der Seele etwas zu schaffen, es könnte nimmermehr Gott in ihr geboren werden. Dazu muss alle Zeit abgefallen oder sie der Zeit entfallen sein mit ihrem Wünschen und Trachten.«
Er ließ den Blick abermals in der Runde schweifen, sah das begeisterte, erhitzte Gesicht seines jungen Schützlings, die ernste Miene des Dominikaners, das Gähnen, das der Benediktiner gerade noch unterdrückte. Und die steile Zornesfalte auf der bleichen Stirn von Kustos. Nur was Walram empfinden mochte, war ihm nicht anzumerken.
»Übt Nachsicht mit mir, meine Brüder.« De Berck neigte sich leicht und lächelte. »Ich war in den letzten Monaten wohl zu lange und zu viel allein. Da gerät man manchmal in Gedanken und Überlegungen, die sich nur schwerlich mit anderen teilen lassen.«
Sein Blick wanderte erneut zum Tisch.
»Ob man ein solches neumodisches Räderwerk braucht? Ein Mönch nicht, würde ich sagen. Ein Kaufmann dagegen wohl. Deshalb stünde es meiner Ansicht nach auch dem Letzteren an, sich damit näher zu befassen und sein Urteil zu fällen.«
»So öffnest du endlich dein Visier und zeigst dein wahres Gesicht!«, fuhr Johannes Kustos ihn an. »Hast nicht gerade du immer wieder gepredigt, einer, der vollkommen sein wolle, müsse all seinen Besitz verkaufen und an die Armen verteilen? Und jetzt sprichst du von den Kaufleuten, als hinge das Wohl der Welt von ihnen ab!«
Brunos Miene wurde sehr ernst. »Es hat mich schon immer gedauert, dass du ständig das eine mit dem anderen verwechselt hast, Bruder «, sagte er. »Das mit der Vollkommenheit stammt beileibe nicht von mir, sondern von unserem geliebten Vater, dem heiligen Franz. Und er hat weiter gefordert: ›Wenn jemand mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz und begleite mich.‹«
»Ich bin es leid, mich von dir belehren zu lassen! Du hast von Kaufleuten gesprochen. Jeder hier im Raum hat es gehört.«
»Wie können wir der Welt Frieden geben, wenn wir ihn nicht in unseren Herzen tragen?«, erwiderte de Berck sanft. »Ich wollte alles andere als dein Blut in Wallung bringen. Lass mich versuchen, dir mit einem Bild zu erklären, was ich meine. Wir lesen im heiligen Evangelium, dass unser Herr in den Tempel ging und hinauswarf, die da kauften und verkauften. Warum tat er das? Er meinte nichts anderes damit, als dass er den Tempel leer haben und allein darin herrschen wollte. Denn dieser Tempel ist die menschliche Seele. Sie will der Allmächtige leer haben, auf dass darin nichts sei als er allein.
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