Pforten der Nacht
Die Seele und Gott. Eins, nicht zwei voneinander getrennte Dinge, wenngleich unser Verstand das nicht immer zu fassen vermag. Hast du mich jetzt endlich verstanden, mein Johannes?«
Kustos vermied trotzig, ihn anzuschauen, und tat, als sei er auf einmal schwerhörig oder halb abwesend, aber das schien Bruno de Berck nichts auszumachen. Der sah jetzt nur noch Walram an, mit einem kleinen, schiefen Lächeln.
»Manchmal ist mir, als wäre ich trotz aller Mühen nicht zum Liebesdienst angetreten, sondern hätte stattdessen eine Rüstung angelegt und zöge in den Kampf. Dann wieder scheint mir alles nur noch komisch und seltsam. Geht es Euch auch so? Kennt Ihr dieses Gefühl, diese Empfindung? Wenn ich ehrlich bin, kommt mir die Welt, je älter ich werde, immer öfter wie ein Ringelplatz vor, auf dem wir alle ringen und das Fleisch in Geist verwandeln sollen. Erst wenn alles Geist geworden ist, brauchen wir die Welt nicht mehr. Dann mag der Tod kommen, aber nicht eher.«
Er wandte sich, neigte sich leicht im Gehen und war schon durch die unscheinbare Tür verschwunden, durch die er gekommen war.
»Ich wünschte, wir hätten mehr Männer wie ihn in unserer Gemeinschaft!«, rief Rufus Cronen begeistert. »In seiner Gegenwart fühle ich mich mutig und stark, durch seinen Geist stets beflügelt. Und dazu dieses Maß, diese Bescheidenheit! Wisst ihr, welche Sätze er mir zur Meditation aufgegeben hat?« Seine junge Stimme zitterte vor Stolz und Aufregung. »›Mein Gott, spanne mich, dass ich nicht erschlaffe! Mein Gott, überspanne mich nicht, dass ich nicht breche. Mein Gott, überspanne mich, auch wenn ich breche!‹«
Es war eine Weile still, dann ergriff Walram das Wort.
»Offenbar kann die menschliche Natur weder die vollkommene Liebe noch das vollkommene Wissen oder gar die vollkommene Heilung erzielen. Vielleicht muss die Welt wirklich eine Kutte anziehen, damit Gott wieder erscheint. Und die Zeit Zeit sein lassen. Oder, wie unser Bruder es eben so klug und umsichtig formuliert hat, zur Gänze denen überantworten, die von ihr profitieren.«
Ein Schatten war über sein Gesicht gegangen.
Es gab keinen im Saal mehr, der noch gewagt hätte, nach dem weiteren Verbleib der geschnitzten Räderuhr auf dem Eichentisch zu fragen.
»Dinah war heute Nachmittag bei mir«, sagte Recha, nachdem Jakub nach dem Abendgebet Mantel und Beinkleider abgestreift hatte und gerade in die Bettstatt kriechen wollte. »Sie meinte, Aaron sei auf der Suche nach einer geeigneten Frau.«
»Aaron ben Mose?« Jakub gähnte.
»Aber was redest du da? Der ist doch schon ein würdiger Großvater mit sieben munteren Enkelkindern! Der junge Aaron natürlich, Gideons Sohn! Unser neuer Shohet, der jetzt das Amt des alten Nathan versieht. Und gut dazu, wie man hört.«
»Dürfte auch schon einiges über dreißig Jahre sein«, erwiderte Jakub und rieb sich die Augen. »Ach, ich muss wirklich schnell schlafen. Heute war ein mühsamer Tag. Und der morgige wird es kaum weniger sein. Wir müssen in der Gemeinde endgültig darüber abstimmen, ob wir das Judenregal nun freiwillig zahlen oder nicht. Mir ist es wichtig, dass Esra dabei ist. Meinst du, er wird schon bald wieder nach Venedig ziehen? Ich könnte es gut verstehen, nach dem, was er von seiner Arbeit und seinem Leben bei David erzählt hat. Aber ich werde ihn trotzdem sehr vermissen.«
»Dinah sagte, Aaron sei geduldig und sanft, alles andere als ein Geizkragen, obwohl er noch immer ein Junggeselle ist, freundlich zu Mensch und Tier …«
»Behaupten das die Kälbchen unter seinem Messer?«
»Du bist wirklich unmöglich, Jakub ben Baruch!«, fuhr sie ihn an. »Niemals kann man ernsthaft und in aller Ruhe mit dir reden. Nicht einmal, wenn es lebensnotwendig wichtig ist!«
»Und was ist so lebensnotwendig, meine Taube?« Er umarmte sie, Recha aber machte sich steif und entzog sich. »Dass die alte Dinah mal wieder Schidduch und damit Schicksal spielen möchte?«
»Mir soll es recht sein, wenn sie für uns die Heiratsvermittlerin macht«, beharrte Recha. »Mehr als recht! Denn im Gegensatz zu dir werde ich erst wieder ruhig und friedlich schlafen, wenn ich weiß, dass unsere Lea für die Zukunft versorgt ist.«
»Aber sie ist doch noch ein Kind«, widersprach Jakub matt. »Hat sie nicht noch etwas Zeit?«
»Das behaupten alle Väter«, kam es schnippisch zurück. »Manche noch am Hochzeitstag ihrer Töchter. Und sogar, wenn der erstgeborene Enkel seinen Schrei tut. Glaub mir, mein Lieber,
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