Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
Vom Netzwerk:
unter ihren Knien knackste, als sie sich unruhig bewegte.
    »Bis zur Hochzeit meiner Schwester hielt er sich trotz allem noch halbwegs im Zaum. Kaum jedoch war sie mit Hermann Windeck getraut und aus dem Haus, begann die Hölle auf Erden für mich. Nachts schlich er in meine Kammer, nahm mich mit Gewalt und drohte, der Mutter alles zu verraten.«
    Ihre Hände umschlossen fest das Gitter, das sie von dem Mann auf der anderen Seite trennte. Es war ein Halt, nicht mehr, aber doch eine winzige Sicherheit. Er hatte sie geliebt, sogar begehrt - wie würde er sie nach dieser denkwürdigen Beichte sehen?
    »Brauchst du eine Pause?«
    »Nein, ich will es hinter mich bringen! Ich hatte keine Ruhe vor ihm, nicht im Schuppen, nicht in der Werkstatt, nicht einmal im Freien. Er war wie besessen von der Idee, mich zu besitzen. Ich bin weggelaufen, aber er hat mich wieder zurückgeholt. ›Versuch das niemals wieder‹, hat er gesagt. ›Sonst richte ich dir dein Frätzchen her, dass dich keiner mehr anschaut.‹«
    »Und was geschah dann?«
    »Was schon? Die Natur nahm ihren Lauf, ich wurde schwanger. Vom eigenen Vater! Er freilich hat’s frech geleugnet und mich bei der Mutter als liederliches Weib angeschwärzt. ›An den Pranger mit ihr! Soll sie den Hurenbauch dort vor allen Leuten zur Schau stellen!‹« Reginas Stimme klang hell und zornig.
    »Hat sie ihm geglaubt, die Mutter?«
    »Zunächst schon, dann aber habe ich ihr alles offenbart. Ich war sechzehn Jahre, ein halbes Kind, ohnmächtig vor Angst und Scham. Und sie, Thekla Brant, hat ihr Leben für mich geopfert. Ja, das hat sie.«
    »Wie meinst du das? Hat der Vater sie …«
    »Das war gar nicht nötig. Man hat mich zu fremden Leuten gesteckt, in ein kleines Dorf, weit weg von Köln, wo der Bankert in meinem Leib heranwuchs, und die Mutter hat sich Monat für Monat ein dickeres Kissen unter den Rock geschoben. Ein paar Tage vor der Niederkunft kam ich heimlich zurück. Ich gebar meinen Sohn - seinen Sohn - mit ihrer Hilfe. Sie gab ihn als ihr eigenes Kind aus. Zumindest die ersten Tage lang. Aber es ging über ihre Kräfte. Die klaffende Wunde, das Mal, das unsere Schande in die Welt hinausschrie, sein Brüllen, das nicht aufhören wollte, weil er Hunger hatte und nicht trinken konnte, nicht bei Tag und nicht bei Nacht …« Sie klang zart und mädchenhaft. »Ich hatte das Kissen schon in der Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Aber ich konnte es nicht. Er war so klein, so wehrlos! Die Schuld lag doch nicht bei ihm, sondern bei Niklas und mir …«
    »Was geschah mit Thekla? Hat sie Hand an sich gelegt?«
    »Sie ist im Fluss ertrunken. Ein Unfall, so sagte man, aber ich weiß es besser. Sie wollte sterben. Wie hätte sie unter einem Dach weiterleben sollen, mit Niklas, ihrem Mann, der sie so grausam mit dem eigenen Fleisch und Blut gehörnt, und mit mir, ihrer Tochter, die den Bankert des eigenen Vaters geboren hatte?«, fragte Regina bitter. »Den Rest der Geschichte kennst du. Guntram ward aufgezogen als mein Bruder, und Niklas hat nie wieder versucht, mich anzurühren. Ich ging als Dienstmagd in die Kaufhausgasse, zu den reichen van der Hülsts, und kam nie mehr nach Hause zurück.« Ein tiefer Seufzer. »Zwei Jahre später war er tot. Und ich seine Erbin, die auf diese Weise die Mitgift für den Konvent zusammen hatte. Für mich war der Albtraum vorüber. Ein neues, anderes, freies Leben konnte beginnen. Aber mein Sohn …«
    »Dein Sohn?« Die Stimme des Priesters war ganz sanft. »Ist nicht jedes Kind ein Geschenk Gottes? So grausam die Umstände seiner Zeugung auch sein mögen? Der Allmächtige wird ihn immer beschützen!«
    »Gott hat ihn nie beschützt - niemals! Und ich kann seinen Anblick nicht ertragen, weil er mich immer an das erinnert, was niemals hätte geschehen dürfen …«
    Ursula spürte, dass ihre Schulter steif wurde. Sie hatte ohnehin genug gehört. Vor Aufregung und um nicht aufzuschreien, hatte sie fest in ihren Ballen gebissen. Heiße Genugtuung erfüllte sie. Jetzt hatte sie die Begine in der Hand! Das war wahrlich eine andere Kost als heimlich überschriebene Schreinskarten!
    Ihr erster Impuls war, loszulaufen und Guntram alles sofort zu erzählen, aber beim Hinausgehen verlangsamte sich ihr Schritt, und schließlich blieb sie ganz stehen. Damals war sie nur ein verstoßenes Kind gewesen, das mit allen Mitteln ums bloße Überleben kämpfen musste. Heute freilich war sie erwachsen, eine Frau, die dieses unerhörte Geheimnis wie den

Weitere Kostenlose Bücher