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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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die Italiener so treffend nennen. Persönlichkeit, Kraft und Kraftanstrengung, Können und Kunst. Alles Eigenschaften, die erst einmal erworben sein wollen. Sich dagegen allein auf das väterliche Erbe zu verlassen und frisch und hemmungslos aus den Säcken des Erzeugers zu wirtschaften ist verkehrt und trägt nicht weit. Johannes muss hinaus in die Welt. Schlimm genug, dass du einen Stubenhocker aus ihm gemacht hast, der dich ständig in die Messe begleitet und sich ängstlich an den heimischen Herd klammert.« Sein schmaler Mund geriet zum Strich. »Um nicht zu sagen, an die Röcke seiner Mutter! Und jetzt Schluss damit! Ich bin die Diskussion gründlich leid.«
    Sein Blick war unerbittlich. Früher war sie eine Schönheit gewesen, von deren Augen und zarten Ohrmuscheln die ganze Stadt sprach. Heute war sie eine hagere, unzufriedene Frau mit Tränensäcken und einem müden, traurigen Hals. Manchmal konnte er ihren Anblick, ihre Gegenwart kaum noch ertragen. Alles, was welkte, was seinen Glanz und seine Schönheit verlor, widerte ihn an: schlaffe Haut, Adern und Sehnen, hängende Brüste, Züge, die konturlos wurden. Er wusste selber nicht einmal zu sagen, weshalb, aber es wurde mit jedem Jahr stärker. Am schlimmsten von allem waren alternde Weiber, die zu riechen begannen und sich dabei noch immer wichtig nahmen.
    »Du bist nur eifersüchtig, weil der Junge mich mehr liebt als dich«, sagte sie leise, »und vor dir seine Seele verschließt. Dabei kennt keiner den wahren Grund besser als du. Härte und Unzugänglichkeit war alles, was er von dir erfahren hat, Schläge und Strafen schon beim geringsten Vergehen. Niemals ein Lob, so gut wie nie ein freundliches Wort. Wundert es dich da, dass er dir am liebsten aus dem Weg geht?«
    »Und du hast ihn nach Kräften gepäppelt, verweichlicht und Tag für Tag zu deinen Pfaffen geschleppt! Am liebsten hättest du noch ein Mädchen aus ihm gemacht, aber da war Mutter Natur zum Glück vor!«
    Ihre giftige Selbstzufriedenheit tat ihm beinahe körperlich weh. Er sehnte sich danach, sie einfach stehen zu lassen und hinüber zu dem Haus zu reiten, wo die Sanfte, Junge auf ihn wartete, mit der lohfarbenen Mähne, den schmalen Fesseln und dem Leberfleck auf der linken Schulter, der ihn besonders erregte. Die, wie sie ihm erst neulich gestanden hatte, in ihrem köstlichen weißen Leib sein Kind trug. Wieso hatte er sich eigentlich um das Gewäsch der Nachbarn gesorgt und sie so weit entfernt untergebracht? Er musste ihr so schnell wie möglich ein neues, größeres Zuhause suchen, das mühelos bei Tag und Nacht zu erreichen war. Seine Stimme klang zynisch, als er weitersprach.
    »Außerdem hast du ja noch ein paar Monate Zeit, um dich an diesen Gedanken zu gewöhnen und in Ruhe Abschied von deinem Herzblatt zu nehmen!«
    Sie atmete scharf ein und schwieg.
    Jetzt hörte man nur das Prasseln des Feuers in dem großen, mit Truhe, Tisch und hohen, geschnitzten Stühlen sparsam, aber ausgesucht vornehm möblierten Raum. Es war angenehm warm, trotz der kalten Nässe draußen, in der die Stadt seit Tagen zu versinken drohte. Dafür sorgten nicht nur der mächtige Kamin, sondern auch die dicken persischen Teppiche, die den Steinboden bedeckten. Jan van der Hülst hatte diese Bequemlichkeit bei seinen spanischen und italienischen Handelspartnern schon vor Jahren kennengelernt und alsbald sein eigenes Haus ebenfalls damit ausgestattet.
    Und das kaum weniger prachtvolle am Neumarkt, wo Nana wohnte, wie er seine Geliebte Susanna Tarlezzo zärtlich nannte. Er hatte sie von einer seiner zahlreichen Reisen aus Venedig mitgebracht, eine blutjunge, göttlich verdorbene Waise, die nur allzu gern der strengen Bewachung ihres Vormundes entflohen war, und sie war ihm dankbar dafür. Nur selten beklagte sie sich über die rauen, unfreundlichen Leute und ihr neues Leben in dieser fremden Stadt. Man sah ihr deutlich an, dass sie keine Hiesige war. Ein ebenmäßiges Gesicht mit feurigen Augen, so dunkel, dass man hätte meinen können, sie bestünden nur aus Pupillen. Mit Lippen, sanft und rot wie Scharlach. Einer cremefarbenen Haut wie Samt, die zu streicheln er nicht müde wurde. Wie sie sich kleidete! Und sich bewegte! Stundenlang hätte er ihr dabei zusehen können!
    Natürlich war sie nicht seine erste Geliebte, viele hatte es vor ihr gegeben, unterschiedlichster Stände, Herkunftsstädte und Charaktere, aber niemals zuvor war er einer Frau begegnet, die ihn so weich, so liebevoll stimmen konnte. Und

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