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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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einen starken Willen und ließ sich nicht von dem abbringen, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte.
    »Dann komm wenigstens bald wieder«, murmelte sie, während sie mit dem Abwasch begann. »In einer Nacht wie dieser unterwegs zu sein, welch ein Wahnsinn … aber wenn es denn unbedingt sein muss … ich kann inzwischen ja schon einmal das Bett vorwärmen …«
    Das Geschirr klapperte, heftiger als unbedingt notwendig. Aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie schon beinahe besänftigt war.
    »Meinst du, ich löse mich auf diesem kurzen Weg in meine Einzelteile auf?« Er zog seinen weiten Mantel an, dann die Stiefel. Setzte den spitzen Judenhut auf, den der Magistrat vor einiger Zeit verordnet hatte. Mittlerweile hatte er sich an das hässliche Ungetüm gewöhnt. Ja, er trug ihn wie viele seiner Glaubensbrüder sogar mit gewissem Stolz.
    »Halt!«, rief sie ihm nach, bevor er aus dem Haus war. »Bring auf jeden Fall den Jungen mit, und lass ihn bloß nicht wieder bis nach Mitternacht in der Studierstube herumsitzen und sich die Augen über der Funzel verderben! Nimm ihm wenigstens etwas Kuchen mit. Esra wächst noch. Er muss dringend etwas Fleisch auf die Knochen bekommen.«
    »Es gibt Nahrung für den Körper und Nahrung für den Geist«, murmelte Jakub ben Baruch. Diesen Spruch hatte sein Vater auch schon gekannt. »Und die richtige Zeit für das eine und für das andere.«
    »Und es gibt Ehemänner, die immer das letzte Wort haben müssen«, schallte es hinter ihm her. »Schon aus Prinzip!«
    Natürlich hatte sie sein aufsässiges Murmeln doch gehört! Er drehte sich nicht mehr um. Aber er schmunzelte in sich hinein, zum ersten Mal seit vielen Tagen.
     
    »Die Sache ist beschlossen. Punktum. Was für Rutger getaugt hat, wird auch gut genug für seinen jüngeren Bruder sein. Außerdem muss ich mir beizeiten Gedanken um den Fortbestand unseres Unternehmens machen. Johannes hat lange genug die Schulbank gedrückt. Er geht also im kommenden Frühjahr nach Lucca, zu Anselmo Pandolfini. Dort bleibt er als Lehrling die üblichen vier Jahre, vielleicht auch länger, wenn alles nach Zufriedenheit läuft. Morgen unterzeichnen wir den Lehrvertrag. Paolo di Marco Datini war so freundlich, wieder einmal den Mittelsmann zu spielen, wenngleich wie stets nicht ganz uneigennützig. Dieser gewitzte Karwertsche lässt schon aus Prinzip die Finger von Dingen, die ihm keinen Vorteil bringen oder an denen er nichts verdient.«
    Er verzog den Mund ironisch und hielt dann inne. Seine Hände berührten beinahe zärtlich die Schnitzerei an der Stuhllehne. Feinstes Pinienholz, in Andalusien geschlagen und kunstvoll bearbeitet, das einen weiten Weg zu Wasser und zu Land zurückgelegt hatte, bis es in dieser Kölner Stube aufgestellt worden war.
    »Nun denn, in Pandolfinis Kontor jedenfalls wird unser Sohn lernen, was ein Kaufmann heutzutage wissen muss - und die fremde Sprache noch dazu. Womöglich hat er sogar das Glück, in eine seiner blühenden Niederlassungen nach Spanien geschickt zu werden und dort vor Ort den modernen Fernhandel von Grund auf zu erlernen …«
    »Vier Jahre oder sogar länger!« Ein Aufschrei. »Das kannst du mir nicht antun. Schick ihn nicht weg, bitte! Nicht meinen Jüngsten! Außerdem will ich nicht, dass er so wird wie du, so kalt, so berechnend!«
    Bela van der Hülst stand bebend vor ihrem Mann. Ihre Nase war glatt und klein, ihre Augen wirkten wie mit Terrakotta umschattet. Wahrscheinlich hatte sie wieder einmal nicht geschlafen, wie so oft, seitdem sie ihn gebeten hatte, nicht mehr das Bett mit ihr zu teilen. Eine Maßnahme, um ihn für die fleischlichen Sünden zu strafen, von denen er trotz all ihrem Schimpfen und Flehen nicht abließ. In Wirklichkeit quälte sie vor allem sich selbst damit. Jan van der Hülst war froh, wenn er nicht in ihre Nähe kommen musste.
    »… dazu braucht man frischen Wind um die Nase.« Der Kaufmann sprach unbeeindruckt weiter, während der feine Holzgeruch in seine Nase stieg. Er liebte all die edlen, kostbaren Gegenstände, mit denen er sich umgab. Jedes einzelne dieser erlesenen Stücke, von Menschenhand erdacht und gefertigt, erschien ihm als kleine Versicherung auf die Ewigkeit, anders als der verletzliche menschliche Körper, der krank und schwach werden konnte und unweigerlich die Spuren der Zeit verriet. »Um ein guter Kaufmann zu werden, muss man in diesen turbulenten Zeiten vor allem drei Dinge haben - Verstand, Erfahrung und Geld. Virtù eben, wie es

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