Pforten der Nacht
und nichts von dem verbarg, was darunter lag. Safrangelb eingefärbt und aus dicker Seide genäht. Solche »Schecken«, wie sie der Volksmund nannte, wurden jetzt immer häufiger in der Stadt getragen, allerdings vor allem von jungen Heißspornen, die nur allzu gern mit ihren frischen Körpern prahlten.
»Mein Kopf ist klar wie selten zuvor, und ich versuche lediglich, sachlich zu sein. Sterbe ich keines natürlichen Todes, fällt mein gesamtes Vermögen unverzüglich an die Kirche«, fuhr sie fort. »Alles Wesentliche ist bereits unterzeichnet und an einem sicheren Ort zu treuen Händen hinterlegt. Natürlich in Gegenwart zweier unabhängiger Zeugen, die gegebenenfalls eine Aussage vor dem Schöffenkolleg leisten könnten. Ehrenleute, Jan, denen man unbedingt Glauben schenkt, und keiner deiner Kumpane, die sich von dir unter Druck setzen lassen würden. Spar dir die Mühe, darüber nachzugrübeln, wo. Du kommst ohnehin nicht drauf, Lieber !« Sie lächelte. Aber über ihren Augen lagen tiefe Schatten.
Seine Haut fühlte sich an, als würden glühende Tausendfüßler darüberlaufen. Wieso nur hielt sie nicht endlich den Mund? Sollte er ihr an die Gurgel gehen, damit sie für immer schwieg?
Sie war noch immer nicht zu Ende.
»Du kannst mir meine Schönheit nehmen, meine Lebensfreude und vielleicht sogar meinen Sohn. Aber meinen Stolz - niemals!«
Er sah ihr nach, als sie mit hoch erhobenem Kopf den Raum verließ, leise wie ein Geist oder eine nächtliche Erscheinung. Der Teppich verschluckte ihre leichten Schritte. Sie war keine Geschlagene, ganz im Gegenteil. Er musste sein vorschnelles Urteil von vorhin revidieren. Bela war eben scheinbar mühelos gelungen, was nur wenige Menschen zustande brachten, denen er bislang begegnet war: das letzte Wort zu behalten.
Es war früh am Morgen, als die Schalantzjuden, wie man die Kinder Israels nannte, die keinen festen Wohnsitz hatten, sondern als Spielleute und Vaganten von Ort zu Ort, von Stadt zu Stadt, von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zogen, auf dem Heumarkt ankamen. Sie waren ungewöhnlich spät dran im Jahr; normalerweise suchten sie sich im Herbst einen Platz zum Überwintern, um dann im Frühjahr, wenn das Eis geschmolzen und die Straßen wieder leichter passierbar waren, erneut ihre ruhelose Wanderung aufzunehmen.
Ein kleines Grüppchen, und ein elendes noch dazu. Esra, von seiner Tante zu einem Botengang im Gerberviertel beauftragt, blieb eher aus Mitleid als aus Neugierde stehen: drei Männer, vier Frauen, eine davon gesegneten Leibes, eine Handvoll magerer Kinder, die mühsam aus den beiden vielfach geflickten Planwagen krochen. Auch die beiden Pferde, über die sie verfügten, waren ausgemergelt und alles andere als gut gepflegt.
Der älteste der Männer hatte in einer Ecke eine provisorische Bude errichtet, die die armselige Bühne für ein Puppenspiel darstellen sollte. Während er noch mit Hammer und Nägeln hantierte, blies eines der Mädchen auf der Flöte, während die Schwangere nach Kräften eine schellenbesetzte kleine Trommel schlug. Obwohl ein kalter Wind blies, scharten sich die ersten Schaulustigen um das Grüppchen. Es war lange her, dass Spielleute in der Stadt gewesen waren, und die Menschen in Köln waren schon jetzt der dunklen Abende in den engen, schlecht beleuchteten Stuben überdrüssig.
Dann begann eine der Frauen zu singen, in einem klaren hellen Sopran, so süß und anrührend, dass immer mehr Leute herbeiströmten. Der Grauhaarige mit dem langen lockigen Bart und den hellen Augen gab ihr immer wieder Zeichen, dass sie noch nicht aufhören solle. Erst als sich ein ansehnliches Häuflein Zuschauer um die Bude geschart und er eigenhändig in einer Tonschale ein paar Münzen gesammelt hatte, durfte sie schließlich innehalten.
Was dann kam, konnte Esra kaum ertragen. Roh geschnitzte Marionettenfiguren führten ein Schauspiel auf, das zeigte, wie man die Juden aus einer Stadt vertrieb. Zwei Männer bedienten die Stricke und liehen den Holzköpfen ihre Stimme, nur einmal, bei einem kurzen Lied, fiel der klare Sopran ein. Die Leute bogen sich vor Lachen, weil alles plump und stark übertrieben war; einige stießen sich gegenseitig den Ellenbogen in die Rippen, andere sangen die kruden Verse umso verkehrter und entstellter nach.
Esra sah, wie sich die Spieler abmühten, wie sie schwitzten und verbissen mit den Puppen hantierten, und er wusste auch den Grund dafür. Ein Blick auf die bleichen Wangen der Frauen, die spitzen Gesichter der
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