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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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liebsten würde ich Salomon, seine Frau und seine beiden kleinen Söhne packen und in Sicherheit bringen. So, wie es viele unseres Volkes schon oftmals tun mussten. Es scheint, als ob wir für alle Zeiten auf gepacktem Hab und Gut sitzen müssten.«
    »Aber wohin?«, sagte Recha bitter. »Wer würde uns schon aufnehmen?«
    Es wurde still im Raum. Von nebenan hörte man, wie Lea halblaut das Abendgebet sprach.
    »Gesegnet seist du, Adonaj, König der Welt, der durch sein Wort die Abende herbeiführt, in Weisheit die Tore öffnet und die Sterne nach ihren Abteilungen am Firmament nach seinem Willen ordnet. Er erschafft Tag und Nacht, lässt das Licht weichen vor der Finsternis und bringt herbei die Nacht …«
    »Um uns ist mir nicht bange«, erwiderte Jakub nach einer ganzen Weile, als die klare Mädchenstimme verstummt war. »Wir werden langsam alt und haben unser Leben bislang friedlich und erfüllt gelebt. Aber die Kinder! Wenn ich mir vorstelle, dass Lea und Esra etwas zustoßen könnte, dann bekomme ich schreckliche Angst.«
    »Und ich erst«, flüsterte Recha, die ganz bleich geworden war. »Wenn ich nur daran denke, was meine Kleine eben alles durchgemacht hat! Ich bin sicher, sie wird bald wieder auf den Beinen sein.« Sie bemühte sich, ihre Stimme fest und zuversichtlich klingen zu lassen, obwohl ihr in Wirklichkeit elend zumute war. Gleichzeitig nahm sie sich vor, Josef alsbald in aller Stille und Ausführlichkeit zu konsultieren. Vielleicht hatte er noch andere Ideen, wie man Lea zum Laufen bringen konnte, als sein unerfahrener Neffe. »Und Esra, unser Großer, hat hoffentlich ebenso eine wunderbare Zukunft vor sich.«
    »Wo steckt der Junge denn?«, wollte Josef wissen. »Sitzt er noch immer so fleißig über seinen Büchern?«
    »Esra ist mit seinen sechzehn Jahren inzwischen ein richtiger Mann geworden«, sagte Jakub stolz, »der mich um Handbreit überragt. Und ein kleiner Gelehrter dazu. Diesmal hat er an Chanukka die Kerzen in der Synagoge entzündet. Allerdings stecken noch eine Menge Flausen in seinem Kopf, und er träumt von großen Abenteuern. Er hat viel Mut und ein heißes Herz, ähnlich wie sein verstorbener Vater Simon. Aber was rede ich da? Du weißt ja, wie junge Menschen sind.«
    »Ja, wir leben weiter in unseren Kindern«, erwiderte Josef nachdenklich. »Sie sind alles, was wir haben: das Salz der Erde, die Zukunft, auf die wir bauen. Und gebe Gott, dass wir es noch lange friedlich tun können.«
     
    Esra duckte sich in den Schatten der Gasse. Der »Schwan« war noch leer, obwohl in der Küche ein paar Kienspäne und Ölfunzeln brannten und Anna in der Wirtsstube schon die ersten Kerzen entzündet hatte, die Gäste von draußen anlocken sollten. Hermann Windeck hatte sich erst vor ein paar Tagen zu dieser kostspieligen Anschaffung durchgerungen und die stinkenden, stets rußenden Talglichter verschwinden lassen. Er hatte auch die rohen Bretter vor den Fenstern entfernt und sie durch dicke, geölte Pergamente ersetzt, die weniger abweisend wirken sollten. Die Tür zum Hof stand offen; ab und an drang ein melodischer Laut an sein Ohr.
    Anna sang, während sie die Tische deckte, eine kleine einfache Weise, die ihn plötzlich an den Sommer erinnerte, an dem sie zusammen im Rhein gebadet hatten. Das Mädchen war damals kaum älter als acht gewesen; Johannes und er knapp zehn. Plötzlich spürte er wie damals die heiße Sonne auf seinen mageren Schultern, roch den Bärenklau, der am Ufer wuchs, sah die Weide, deren Zweige langsam durch das Wasser schwebten wie die Haare einer Silbernixe. Die beiden Buben wussten schon, wie man schwimmt, während Anna noch wie ein ängstlicher kleiner Hund paddelte. Alle drei waren nackt; Sonnenlicht schimmerte auf ihrer nassen Haut. Der Fluss empfing sie eisig. Ihre Zehen spreizten sich haltsuchend im Schlick. Es klingelte in ihren Köpfen, als sie nach wärmeren Strömungen suchten, um es länger als ein paar Augenblicke in den grünblauen Wellen aushalten zu können.
    Johannes hatte voller Übermut plötzlich damit angefangen, Anna zu necken und zwischen ihren hellen Beinen hin und her zu tauchen, um dann laut schnaubend wie ein übermütiger Flussgeist irgendwo wieder nach oben zu kommen. Viel Lachen und Prusten. Albern und Kitzeln.
    Auf einmal bekam es Anna mit der Angst zu tun, weil er sie immer mehr bedrängte, sie wurde unruhig, schlug um sich, verdrehte die Augen, bis man nur noch das Weiße sah. Es dauerte eine Weile, bis Esra begriffen hatte, dass es

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