Pforten der Nacht
Gewissen. Und es heißt, das Rheingau sei ihre nächste Station.«
»Und die Obrigkeit? Was macht zum Beispiel der Rat von Straßburg?«, wollte Recha wissen. »Eure Ratsherren können doch nicht einfach tatenlos zuschauen!«
Josef zuckte die Achseln und sah auf einmal noch müder und grauer aus. »Kaum der Rede wert. Man munkelt sogar, die Ausschreitungen seien ihnen alles andere als unlieb. Wahrscheinlich warten sie insgeheim darauf, dass die jüdische Gemeinde in Straßburg ebenfalls überfallen wird. Zumindest einigen Händlern und Kaufleuten in der Stadt, die hohe Schulden bei jüdischen Zinsleihern haben, käme das alles andere als ungelegen.«
»Erst drängen sie unsere Leute aus allen Handwerken und Berufen, und dann beklagen sie sich darüber, dass sie Wucherer und Keuffer werden!« Recha klang bitter. »Seit mehr als fünf Jahren gibt es in der Stadt keine jüdischen Bäcker, Fischer, Fleischer und Weinhändler mehr, die auch an Christen verkaufen dürfen.«
»Glücklicherweise haben wir in Köln ja unseren Schutzbrief«, wandte Jakub ein. »Das letzte Mal zum stolzen Preis von achtzehnhundert Kölner Mark abgeschlossen. Mit Erzbischof Walram und dem Schöffenkolleg. Außerdem umgibt unser Viertel eine sichere Mauer mit Toren, die nachts abgeschlossen werden. Was du erzählst, ist fürchterlich, Josef, und tut mir in der Seele weh. Aber ich glaube kaum, dass so etwas auch bei uns möglich wäre.«
»Dieser Brief ist nicht einmal das Stück Pergament wert, auf dem er geschrieben steht«, entgegnete seine Frau aufgebracht. Ihre Hände zupften nervös an den Bändern der gestärkten Haube, die ihr Haar bedeckte, wie es die Sitte gebot. »Und er ist so gut wie abgelaufen.«
»Das ist richtig, aber er soll ja schon im nächsten Monat erneut bekräftigt werden.« Er wandte sich an Josef. »Erzbischof Walram hat es der jüdischen Gemeinde fest zugesagt. Es gibt keinen Grund, seinem Wort zu misstrauen. Außerdem haben wir beschlossen, ihm einen edelsteinverzierten Bischofsstab zu schenken. Um ihn auch auf Dauer gnädig zu stimmen.«
»Ach, Jakub ben Baruch, bist du wirklich so gutgläubig, wie du tust?«, schnaubte sie. »Glaubst du, diese Bestechung nützt etwas? Der Schutzbrief wird immer dann erneuert, wenn der Erzbischof Geld braucht. Mal wird er vordatiert, dann wieder zurück, gerade wie es ihm passt oder es ihm die aufsässigen westfälischen Grafen diktieren. Vertrauen? Dass ich nicht lache!«
»Walram ist immer für uns Juden eingestanden. Und denk doch an unsere solide Schutzmauer …«
Jetzt kam Recha erst recht in Rage. Die Augen blitzten, der Busen wogte. Alles, was sie bislang immer mit Vehemenz verteidigt hatte, erschien ihr nun vage und fraglich. Ihre Stimme wurde schrill. »Mit der sie uns einsperren, angeblich, damit wir unsere Feste ungestört feiern können? Mauern sind leicht zu erstürmen, vorausgesetzt, man hat genügend bewaffnete Männer mit der richtigen Portion Wut im Bauch. Das weißt du ganz genau! Ist erst einmal die Gier in ihnen erwacht, dann lassen sie uns bluten. Erst gehen sie an unser Geld, und wenn das erst alle ist, an unser Leben. So war es seit jeher. Besonders dann, wenn wir Juden glaubten, im Augenblick drohe keine Gefahr. Und es wird so bleiben, solange uns diese Christen derart hassen, dass sie bereit sind, dafür zu töten.«
»Es sind nicht alle so«, erwiderte Jakub mahnend, »bei weitem nicht alle. Ich denke, du hast Gelegenheit gehabt, das am eigenen Leib zu erfahren.«
»Nein, nicht alle«, murmelte Recha. »Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber leider viel zu viele, für die es sehr wohl zutrifft. Was sollen wir tun? Warten, bis es zu spät ist?«
»Sie berufen sich darauf, wir hätten den Heiland gemordet.« Josef schob seinen Teller beiseite. »Aus diesem Grund seien wir ihre Feinde. Und nur wer uns hasst, ist ein guter Christ.« Er sah Jakub lange an. »Du hast eine kluge Frau, mein Freund, und eine vorausschauende dazu. Ich fürchte, sie hat auch dieses Mal wieder recht. Solche Anschläge sind keine Einzeltaten, selbst wenn sie lokal begrenzt scheinen. Es ist wie ein Funke, der in einem trockenen Wald schwelt. Erst brennt ein Baum, schließlich zehn. Plötzlich stehen alle in Flammen. Ich ahne nichts Gutes. Und ihr solltet ebenfalls auf der Hut sein. Mein Bruder hat vermutlich nicht mehr viel Zeit, sich darüber Sorgen zu machen, aber was ist mit meinem begabten Neffen, der schon bald mein Wissen als Heilkundiger in den Schatten stellen wird? Am
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