Pforten der Nacht
hatten sie ihn schon längst an der Stimme erkannt.
»Ich spaße nicht, wie ihr gerade gesehen habt. Oder wollt ihr tatsächlich geröstet werden wie an Luzifers Spieß?«
Esra wusste nicht, wo er war, als er wieder erwachte. Dumpfes Brummen erfüllte seinen Kopf, seine Kehle war trocken und rau. Neben ihm lauter Scherben.
Als er sein Ohr betastete, fasste er in Blut.
Ihm wurde schwindelig; würgend erbrach er sich. Noch immer halb benommen setzte er sich auf. Und jetzt sah er ihn.
Den roten Feuerschein, drüben, jenseits der hohen Judenmauer.
Sie brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, was geschehen war. Mühsam versuchte sie, ihre Blöße zu bedecken, und richtete sich unbeholfen auf. Jetzt spürte sie auf einmal die Kälte.
Da stolperten die beiden schon weiter, so schnell sie konnten, der eine leicht gebückt, der andere ihn stützend, und verloren sich im Dunkel der nächtlichen Gassen.
Überall Blut.
Ihr Blut?
»Dem hab ich es aber ordentlich gegeben!« Johannes’ Stimme klang fremd. Er musste getrunken haben. Viel getrunken! Sein Atem war schal und schwer. »Wie gut, dass ich Jans schönen Dolch dabeihatte!«
Anna spürte, wie ihr Gesicht nass wurde.
»Nicht weinen, mein Liebchen, ich bin doch bei dir! Haben die Strolche dich verletzt? Ich meine, haben sie dich etwa …«
»Nein«, schluchzte sie, »aber beinahe. Wieso warst du nicht da, Johannes? Weshalb bist du nicht gleich gekommen, als ich gerufen habe? Ich friere. Und ich hätte dich so sehr gebraucht!«
»Aber jetzt bin ich da, um dich zu wärmen! Du sollst nicht mehr frieren, das verspreche ich dir!«
Ungestüm umfasste er sie, berührte ihren Knöchel, dann ihren Schenkel. Sie zuckte unwillkürlich zurück, aber er schien es gar nicht zu merken. Ganz in ihrem Duft gefangen, einem warmen, leicht bitteren Geruch. Sein Glied pochte. Niemals war sie so wehrlos gewesen. Niemals hatte er sie so sehr begehrt wie jetzt. Ihr Mund verschwand in seinem. Dann biss er sie in die Lippen, so, wie es Stella ihn eben gelehrt hatte.
»Bist du verrückt geworden, Johannes? Du kannst doch nicht einfach …«
Sein gewaltsamer Kuss brachte sie zum Schweigen. Übermut wallte in ihm hoch, ein neues, ganz unbekanntes Gefühl. Er brauchte keine Worte! Im Gegenteil, sie störten ihn eher. Weshalb überhaupt reden, in dieser seltsamen Nacht, in der lauter Dinge geschahen, die er noch niemals zuvor erlebt hatte? Einer Dirne beiliegen. Einen Mann halb abstechen. Die Liebste besitzen! Er hatte nicht gewusst, wie es sich anfühlen würde, all das zu tun. Nur vielleicht davon geträumt.
Und jetzt wurden diese Träume alle auf einmal wahr.
Erstaunlicherweise war Anna bei weitem nicht so weich und nachgiebig, wie er geglaubt hatte. Im Gegenteil, sie strampelte wild unter ihm, versuchte, ihn abzuwerfen, wie ein ungezügeltes Pferd seinen Reiter.
Und sie war beileibe nicht still.
»Nein! Nicht, du tust mir weh! Hör sofort auf - ich will nicht! Der Boden ist so kalt. Nein, Johannes - Johannes, nein! Nicht so, so nicht …«
Er verspürte den Drang zu lachen. Sie wollte nicht!
Gut, dass er beizeiten gelernt hatte, einen störrischen Gaul zu bezwingen. Wenigstens eine Fähigkeit, mit der er seinem Vater imponieren konnte. Und plötzlich war es, als hätte Jan van der Hülst Besitz von ihm ergriffen, als sei er endlich wirklich Jan. Annas Stimme in seinen Ohren wurde schwächer und schwächer, bis er sie schließlich gar nicht mehr hörte. Das Blut pulsierte in seinen Lenden. Die Flut kam von unten, stieg unaufhaltsam empor. Seine Geilheit wuchs.
Gehörte sie ihm nicht schon seit jeher? Dann war es nur richtig, sich jetzt zu nehmen, was ohnehin längst sein Eigen war!
Schweißtropfen fielen von seiner Stirn auf ihre geöffneten Lippen. Ihr Gesicht - eine Landschaft aus Schatten. Ihr Körper -, das Paradies, das ihm niemand vorenthalten konnte. Nicht einmal sie.
Sein Leib bäumte sich auf, beinahe wütend stieß er in sie hinein, und sein lauter Lustschrei übertönte all ihre Schmerzenslaute.
Ein kalter Mond ging unter, als Anna nach Hause kam. Es hatte aufgehört zu schneien; die Luft war frisch und klar. Eine Katze strich um ihre Beine, aber sie war zu ausgelaugt, um es überhaupt zu bemerken. Die Eingangstür stand angelehnt, Schatten nisteten hinter dem Herd. Im ganzen Haus roch es nach scharfen Kräutern und einem durchdringenden metallischen Geruch, den sie nicht gleich erkannte. Am liebsten hätte sie sich in den Bottich gesetzt und sich
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