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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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stundenlang abgeschrubbt. Am liebsten sich für immer in ihr Bett verkrochen.
    Am liebsten auf der Stelle zu atmen aufgehört.
    Als sie langsam nach oben schlich, kam ihr Regina entgegen. Sie blieb stehen, sah sie schweigend an. Anna war lange in der Stadt herumgeirrt, um den Verstand nicht vollständig zu verlieren, hatte sich trotz der beißenden Kälte am Brunnen notdürftig gesäubert und versucht, ihr Kleid wenigstens halbwegs in Ordnung zu bringen. Später sich in einer Kirche versteckt und dem Klopfen ihres wunden Herzens gelauscht. Aber nichts blieb diesem kühlen, forschenden Blick verborgen - weder der zerfetzte Rock noch die Schrammen auf den Armen.
    Und schon gar nicht das gerötete, verquollene Gesicht.
    Plötzlich wusste Anna, was Regina denken musste. Als habe sie sich die ganze Nacht aus vollem Herzen amüsiert. Weintrunken. Lusttrunken. Sie konnte ja nicht wissen, was ihr in Wirklichkeit zugestoßen war. Erst die beiden schrecklichen Männer und dann auch noch Johannes …
    Johannes!
    Die Scham und der Schmerz über das Geschehene verschlossen ihr den Mund.
    »Du hast offenbar dein Häubchen verloren«, sagte die Begine müde. »Ich hoffe, du weißt noch, wo es ist.«
    Aus der ehelichen Schlafstube drang durchdringendes Wimmern. Und mit einem Mal war Anna klar, wonach es überall im Haus roch. Blut. Und Angst.
    »Ist es schon da?«, fragte sie tonlos.
    Regina nickte.
    »Und? Wie geht es ihm?«
    »Dein Stiefbrüderchen wollte nicht atmen.« Ihre Stimme war spröde und rau, als sei sie es gewesen, die sie sich beim Gebären halb aus dem Leib geschrien hatte. »Ein kleiner, schöner Junge. Blass und still. So still! Ich habe alles versucht. Aber nichts wollte helfen. Nichts!« Jetzt sah Anna, dass sie geweint hatte. »Weil kein Pfarrer da war, hab’ ich ihm selber die Nottaufe erteilt. Damit seine kleine Seele Eingang ins Paradies findet und er richtig begraben werden kann.«
    »Es ist also …«
    »Tot. Ja. Und sehr wenig hätte gefehlt, und Hilla wäre ebenfalls …« Sie brach ab. »Sie braucht Ruhe. Sie hat viel zu viel Blut verloren.«
    »Wo ist Hermann?«
    Die Begine zuckte erschöpft die Achseln.
    »Bei seinen Kumpanen. Oder betrunken irgendwo in der Gosse, was weiß ich? Keiner war da, um Hilla beizustehen, als das Wasser brach. In ihrer Verzweiflung hat sie mitten in der Nacht Barbra zu mir geschickt, das kleine Ding, mutterseelenallein mitten durch den ganzen trunkenen Mummenschanz.« Sie seufzte. »Vielleicht hätte alles anders ausgehen können, wäre schneller kundige Unterstützung zur Hand gewesen.«
    Anna trat auf sie zu.
    »Lass mich dir erklären, warum …«
    »Du brauchst mir nichts zu erklären, Anna«, unterbrach sie Regina. »Schließlich habe ich selber Augen im Kopf. Lass sie jetzt erst einmal schlafen. Die Kleinen hütet inzwischen Kati. Ich gehe zurück in den Konvent, damit ich die Frühmesse nicht versäume. Gegen Mittag komme ich zurück, um nach ihr zu sehen.« Sie ließ eine vage Geste folgen, die das Dunkel hinter ihr einschloss. »Den kleinen Leichnam habe ich inzwischen in der Abstellkammer aufgebahrt. Mal sehen, wo ich auf die Schnelle einen Sarg für ihn auftreiben kann. Wird nicht ganz einfach werden, heute, wo die halbe Stadt ihren Kater auskurieren muss.«
    Sie drängte sich an ihr vorbei, ging einige Stufen nach unten. Auf dem Treppenabsatz blieb sie stehen und runzelte die Stirn.
    »Und zieh dir ein anderes Kleid an, bevor du mit dem Aschekreuz gesegnet wirst. Fastnacht ist endgültig vorbei.« Ihre Stimme wurde leise und durchdringend. »›Gedenke, o Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst.‹ Keiner von uns sollte das vergessen.«
    Anna schaffte es gerade noch bis in ihre Stube. Dort warf sie sich auf das Bett und versuchte zu weinen. Aber nicht eine einzige Träne wollte kommen und sie von dem unerträglichen Schmerz in ihrer Brust erlösen.

Fünf
    Der erzbischöfliche Palast, im Volksmund wegen seines großen Festraums im ersten Stock kurzerhand »Saal« genannt, lag an der Südseite des Domhofs, war durch Kreuzfenster gegliedert und mit stattlichen Zinnen bewehrt, die ihm einen burgartigen Charakter verliehen. Schon seit Längerem hatten geschäftstüchtige Händler die Sondererlaubnis erwirkt, Verkaufsstände an der Erdgeschossmauer anzugliedern, wo sie jetzt, am Tag vor dem Passionssonntag, vorzugsweise Kerzen, Rosenkränze und allerlei fromme Weihgaben, aber auch Bänder, Spitzen, Eier, Fische und Kräuter anboten. Frisch

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