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Pforten der Nacht

Titel: Pforten der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Riebe
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anderen, neugierig die dritten.
    Auch Walram antwortete erst nach einer Weile.
    »Deine ungezwungene Rede, mein Sohn, hat mich getroffen, nicht aber verletzt«, sagte er schließlich. »Um dir die ungeschminkte Wahrheit zu offenbaren: Ich wäre schon mehr als einmal lieber nur Hirte des Herrn denn ein beherzter Streiter weltlicher Dinge gewesen. Leider erlauben unsere schwierigen Zeiten keinen Erzbischof von Köln, der sich ausschließlich mit Spiritualität beschäftigt und darüber seine Pflichten als Stadtherr vergisst. Was wiederum nicht heißt, dass ihm Glaubensangelegenheiten gleichgültig wären. Ganz im Gegenteil sogar.« Er verzog seinen Mund. »Klingt vielleicht ein wenig kompliziert. Und mir ist bekannt, dass feines Differenzieren euch Minoriten nicht immer geläufig ist.«
    Der junge Mönch war rot angelaufen. »Ein Scheiterhaufen ist Gott. Er brennt, und wir brennen auf ihm.«
    »Schön gesagt«, erwiderte Walram glatt. »Im Maß lebt der Mensch. Jenseits des Maßes Gott. Es steht uns nicht an, uns mit ihm zu vergleichen.«
    »Kein Barfüßler würde das wagen! Wir wissen, dass keine breite Straße zu Gott führt, sondern nur enge Pfade. Und dienen tun wir einer einzigen Herrin - der Dame Armut.« Er hielt inne und ließ seinen Blick anzüglich über die kostbaren Wandteppiche, die schweren Kandelaber, die silbernen Becher schweifen. Sogar das Salzfässchen war aus getriebenem Kupfer gearbeitet und stellte einen stilisierten Fisch dar, aus dessen geöffnetem Maul die Körner flossen. »Außerdem ist jedem Franziskaner bekannt, dass nicht nur frommes Reden, sondern vor allem fromme Taten von den Dienern Jesu erwartet werden«, fuhr er mutig fort. »Als imitatio Christi. So hat es Franziskus verlangt. Und es in seiner vita mystica zur Nachahmung vorgelebt.«
    »Genau - lasst Taten folgen!« Walram war aufgesprungen, so impulsiv, dass ein Weinkrug umfiel und sein Inhalt das Leinen tränkte. »Künftig werde ich mit allen Mitteln gegen derartige Exzesse Geistlicher vorgehen. Mit Exkommunikation. Entzug der Einkünfte. Verweis aus der Stadt. Und wisst ihr auch, weshalb?«
    Abermals Schweigen. Diesmal eher ratlos.
    »Sie sind der Nährboden für Übleres.« Er senkte seine Stimme zu atemlosem Flüstern. »Sektierer, die sich durch ihr Beispiel ermutigt fühlen. Mordbrenner, die kein Gesetz mehr bindet. Für Diebe und Ehebrecher, die höhnisch Gottes Gebot mit Füßen treten. Am schlimmsten von allen aber ist diese gens pestifera, jenes Natterngeschlecht der Ketzer und Begarden, das unter stets anderen Verkleidungen immer wieder aufs neue erstarkt.« Mit wilden, fiebrigen Augen schaute er von einem zum anderen. »Hunderte leben in dieser Stadt. Vielleicht bald schon Tausende, wenn wir ihnen nicht Einhalt gebieten. Nur auf eines haben sie es abgesehen: die Kirche Jesu zu zertreten. Und sich dreist anzumaßen, selber festzulegen, was ein frommes Leben sei. Dazu jedoch, meine geliebten Brüder, darf es nicht kommen - niemals!«
    »Und was wollt Ihr dagegen unternehmen? Einen Kreuzzug gegen sie rüsten, wie Euer Vorgänger es schon vergeblich versucht hat?«, fragte Thys Boysenhoils besorgt, der Nestor der Dominikaner. Er sprach die bekannte Trunksucht des Virnebergers nicht an, jeder im Raum aber wusste, was er meinte. »Habt Ihr keine Angst vor dem Aufruhr, den solche Maßnahmen entfachen könnten? Die Stadt hat sich von dem Sturm auf das Judenviertel noch nicht erholt.«
    »Man kann auf verschiedenartige Weise das Schwert des Herrn führen«, sagte Walram vieldeutig. »Und ich habe mir eine äußerst wirksame ausgedacht. Außerdem könnte es keinen günstigeren Zeitpunkt geben. Jetzt, kurz vor dem heiligen Osterfest, das mitten in der Tiefe der Nacht Hoffnung verkündet.«
    Alle starrten ihn an.
    »Was meint Ihr?«, fragte Kustos schließlich. »Was habt Ihr im Sinn?«
    »Jesus hat gehungert: Hungern wir. Er hat gelitten: Leiden wir. Er ist gekreuzigt worden: Lasst uns gekreuzigt werden!« Triumphierend schaute er in die Runde. »Schließlich hat er sein Blut für uns vergossen - das reine Blut des Lamms.«
    »Nun, ja, aber wir verstehen leider nicht …«
    »Jesus allein ist der Weg, der zu den Lichtern des Vaters führt. Deshalb müssen wir zurück zu den Wurzeln. Zum Geheimnis unseres Glaubens. Zur Menschwerdung Jesu und seiner Überwindung des Fleisches.«
    Noch immer Staunen.
    Walram reckte sich wie zur Predigt. Wenn er sich anstrengte, wie jetzt, war seine Stimme voll und tragend. Seine Worte erinnerten an

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