Pforten der Nacht
nur ein paar Monate überlebt hatte und am Fleckfieber gestorben war, bevor sie schwanger werden konnte. Jetzt schickte er sich an, zum vierten Mal zu freien: Chiara Portini hieß seine Auserwählte, eine Schönheit von gerade mal siebzehn Jahren, mit schneeweißer Haut, schwarzen Locken und dicht bewimperten braunen Augen, die gewiss von etwas anderem geträumt hatten als von einer Heirat mit dem alten, narbigen Kaufmann. Ihr Vater war einer seiner Seidenweber, durch Krankheit schwer verschuldet und damit gezwungen, als Ausgleich dem Mächtigen das einzig Wertvolle zu überlassen, was er besaß.
Wie eine Kriegsbeute oder ein besonders hübsch aufgeputztes Stück Vieh führte Anselmo sie an einem sonnigen Apriltag über den Markt, wo sie sich ein paar Kleinigkeiten für ihre Aussteuer suchen sollte, weil der Vater zu arm war, um auch nur einen Dukaten dafür auszugeben. Es war nicht viel mehr als ein Bauernmarkt, sosehr sich die Händler der Region auch anstrengten. Täglich quollen durch die Tore von Lucca ganze Züge von Maultieren und Eseln, beladen mit Säcken voller Weizen, Gerste und Hafer. An vielen Ecken schob sich zudem Ackerland in Form kleiner Gemüsebeete ins Stadtgebiet herein; Frühlingszwiebeln, Lauch und Bohnen würden bald zu Füßen der alten Stadtmauer sprießen. Einfache Stoffballen gab es in Hülle und Fülle; an ein paar anderen Ständen fanden sich Naschzeug, Spitzen und bunter, billiger Tand.
Johannes, der sich gerade eine Scheibe frisch gebratene porchetta vom Drehspieß abschneiden ließ, beobachtete stirnrunzelnd, wie Chiara vergeblich versuchte, den besitzergreifenden Zärtlichkeiten seines Lehrherrn auszuweichen, der trotz des warmen Wetters mit einem pelzgefütterten Surcot prahlte: ein weiter, offener Mantel, wie ihn manchmal auch reiche Frauen trugen, dessen oval ausgeschnittene Armlöcher bis zur Hüfte gingen.
»Nicht doch, Anselmo, vor all den Leuten!«
Ihre Stimme war kehlig und verriet die einfache Herkunft. Schweiß stand an diesem warmen Vorfrühlingstag auf ihrer Stirn, und auch das enge rote Kleid, das den schwellenden Busen betonte, war unter den Achseln feucht. Hilfesuchend sah sie um sich, aber da war niemand, der in die Bresche gesprungen wäre. Unwillkürlich musste er daran denken, was sich schon wenige Tage später in der ehelichen Kammer zwischen ihr und dem Alten abspielen würde. Ein dürrer, sehniger Leib, der sich voller Geilheit gegen einen rosigen Frauenkörper drängte, ihn in Besitz nahm, sich in ihm ergoss - Vorstellungen, die ihn auf der Stelle ins Schwitzen brachten. Das waren fast noch schlimmere Gedanken als der regelmäßige Umgang mit Geld, der seine Seele vergiftet hatte. Es nützte nicht viel, dass er regelmäßig nach San Michele in Foro ging und im dämmrigen Beichtstuhl zum wiederholten Mal die Sünde der Wollust und Selbstbefleckung gestand. Was sein Blut in Wallung brachte, wenn er eine schöne Frau sah, was sein Glied hart werden ließ, wenn er nach inneren Kämpfen eben doch wieder eine der Huren bestieg, die ihre Dienste für ein paar Soldi unweit des Torre delle Ore anboten, war stärker und machtvoller als alle Reue.
Unterwegs war es meist leichter. Dann verzichtete er auf schwere Mahlzeiten, versetzte seinen Wein großzügig mit Wasser und legte sich oftmals mit knurrendem Magen ins Stroh. Aber selbst da lauerten allerorts die Gefahren des Fleisches. Eine üppige Magd mit runden Hüften, die ihn mit ihrem Gang und ihrem schweren Duft während seines Aufenthalts in Pienza halb um den Verstand gebracht hatte, wo er für Pandolfinis Kontor Brokate geprüft hatte; ein schmales, blondes Mädchen in Siena, wo sie Gewürze verladen hatten. Die junge Ehefrau eines Geschäftspartners in Volterra, die sich im Keller so fest an ihn drückte, dass er beinahe die Beherrschung verloren und sie auf der Stelle genommen hätte. Eine andere in Prato, der Stadt der Tuchmacher, älter, erfahrener wohl, aber nicht weniger lüstern, die ihn in einen Raum gelockt hatte, den ein gewaltiger Zuber, mit heißem Wasser gefüllt, in eine duftende Waschküche verwandelt hatte.
Und immer wieder Anna.
Hartnäckig schob sich ihr Bild in seine Andachten und Meditationen und schien ihn besonders während der Bußübungen fast schon grausam zu verhöhnen. Dann hatte er nicht das blühende Mädchen der Jugendtage vor Augen, das er geliebt und begehrt hatte, sondern die Verletzte, Gedemütigte, die ihm niemals verzeihen würde. Mit leeren Augen, zusammengepressten Lippen,
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