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Phantasie und Wirklichkeit

Phantasie und Wirklichkeit

Titel: Phantasie und Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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versicherte dem Polizisten, der
die Eingangstür bewachte, daß er nicht allzu lange bleiben werde.
    Aber es klingelte nichts bei ihm in dem
traurigen Zimmer, und Morse, der zuviel Bier getrunken hatte, setzte sich in
den einzigen Armstuhl und schlief ein. Als er eine halbe Stunde nach
Mitternacht erwachte, fühlte er sich erbärmlich.
     
    Am nächsten Morgen berichtete Lewis von
seinen Mißerfolgen, Dixons Mißerfolgen und Palmers Mißerfolgen, und Morse
berichtete von seinen eigenen Mißerfolgen.
    «Wissen Sie, die Geschichte mit dem Haus», sagte ein recht gedämpft wirkender Lewis schließlich. «Ihre Angaben sind sehr
präzise, nicht? Unter Denkmalschutz stehendes Gebäude, Strohdach, Fachwerk,
Gewächshaus an der Rückseite — könnten wir es nicht beim Stadtrat versuchen
oder bei einigen der anspruchsvolleren Immobilienmakler...?»
    «Wäre vermutlich Zeitverschwendung.»
    «Meinen Sie, Sir? Was tun wir also als
nächstes?»
    «Vielleicht sollten wir den Fall von...
äh... der Motivation her aufziehen?»
    «Hört sich nicht wie Sie an,
Sir.»
    Nein, es war ihm nicht sehr ähnlich —
das wußte Morse. Er hatte es gern mit saftigen Fakten zu tun und sich nie viel
daraus gemacht, zu tief in die Abgründe menschlichen Bewußtseins zu schauen.
Aber jetzt schien die einzige Alternative zu sein, irgendein psychologisches
Gerüst um Sheila Posters Hoffnungen und Ängste, ihre Motive und Irrtümer zu
errichten... Und erst dann noch einmal durch jedes der Fenster zu blicken, noch
einmal zu fragen, was die ermordete Frau in der Geschichte, die sie geschrieben
hatte, versuchte, jedermann — auch sich selbst — mitzuteilen.
    Morse versuchte seine noch
unvollständigen Gedanken in Worte zu fassen, während Sergeant Lewis ihm
gegenübersaß und zuhörte. Voller Zweifel.
    «Nehmen wir einmal an, sie hatte einen
ziemlich festen Job — wir wissen, daß sie das hatte —, aber sie verlor den
Arbeitsplatz — sie hat kaum noch Geld — alles, was sie besitzt, ist ein bißchen
billig — sie lernt einen Mann kennen — fällt auf ihn rein — er ist verheiratet
—, aber er verspricht, mit ihr in das Land zu gehen, wo die Zitronen blühn —
sie glaubt ihm — wird in ihrer Sorglosigkeit schwanger - findet zufällig eine
Anzeige, die seine Frau im örtlichen Käseblatt aufgegeben hat — sie
beginnt, dort zu arbeiten — ist neugierig auf die Frau — eifersüchtig auf sie —
sie möchte die ganze Situation an die Öffentlichkeit bringen - die Sache geht
jedoch schief — der Liebhaber hat sich die Sache überlegt — gibt ihr den
Laufpaß — seine Frau setzt sie auch noch an die Luft — und bald hegt unser
Mädchen einen Haß auf beide — sie möchte beide vernichten — aber
sie kann sich nicht dazu entschließen, den Vater ihres Kindes zu vernichten —
darum verändert sie in ihrer Geschichte die Dinge ein wenig — läßt die Ehefrau
mit einem eigenen Liebhaber ins Bett gehen — weil dann ihr, Sheilas,
Liebhaber noch da sein wird, leben wird — so daß es immer die Möglichkeit gibt,
ihn zurückzuerobern — aber sie langweilt ihn — vielleicht ist ein höheres
akademisches Amt in Sicht — er möchte sie für immer loswerden — ist bereit,
wieder den treuen Ehemann zu spielen — aber Sheila spurt nicht — droht, ihn
öffentlich bloßzustellen — und als er sich mit ihr trifft, wird sie hysterisch
— er sieht rot — sieht alle Farben des Regenbogens — Orange eingeschlossen,
Lewis —, weil er weiß, daß sie alles verderben kann — alles verderben wird — und dann ersticht er sie.»
    « Wer ersticht sie?» fragte Lewis
leise.
    Morse schüttelte den Kopf. «Ich habe
nicht die leiseste Ahnung. Aber eins weiß ich. Ich weiß, daß ich etwas übersehen habe.»
    Für einige Sekunden war der Ausdruck in
Morses Gesicht fast aggressiv — wie bei Boswell in der Geschichte — , und Lewis
zögerte, ihn um einen Gefallen zu bitten.
    Aber seine Frau hatte darauf bestanden.
    «Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen,
Sir, aber wenn ich heute mittag zwei bis drei Stunden freinehmen könnte? Die
Frau...»
    Morse zog die Augenbrauen hoch. «Weiß
sie nicht, daß Sie mitten in den Ermittlungen in einem Mordfall stecken? Was
sollen Sie tun? Ihr einen Beutel Kartoffeln mitbringen?»
    Lewis zögerte: «Es ist nur, na ja, da
ist ein langer großer Riß, der über Nacht in der Küchenwand aufgetaucht ist,
und die Frau sorgt sich zu Tode, wenn wir nicht...»
    «Eine Erdsenkung, meinen Sie?»
    «Eher ein Erdbeben, Sir.»
    Mehrere

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