Phantasmen (German Edition)
werfen zu können.
Tyler bog auf den Parkplatz, in dessen Zentrum – in großem Abstand zum Gebäude und zur Straße – ein Dutzend Fahrzeuge eine Art Wagenburg bildete. Dazwischen bewegten sich Menschen, eine Handvoll Überlebende.
Er lenkte den SUV in einem Bogen um das Lager und fuhr langsam zum Zaun. Etwa fünfzig Meter von den anderen Fahrzeugen entfernt hielten wir an und stiegen aus. Aus Richtung der Wagenburg rief jemand etwas, aber ich war viel zu gebannt vom Anblick der Stadt.
Almería brannte. Aus zahlreichen Häusern stiegen Flammen und Rauchfahnen auf.
»Die haben nicht mal mehr Zeit gehabt, den Ofen auszumachen«, stellte Emma fest.
Die Stadt lag in einer weiten Bucht und war auf der Landseite von ockerfarbenen Hängen eingefasst. Viele waren bebaut – wie jener, auf dem wir standen –, andere felsig und kahl.
»Weiß jemand, wie viele Menschen da unten gelebt haben?«, fragte ich.
»Sicher an die zweihunderttausend«, sagte Tyler.
Neben modernen Bürogebäuden gab es ganze Viertel aus weiß gekalkten Altbauten. Aus Straßen und Gassen strahlte Licht empor. Viele Bewohner mussten während der ersten Smilewave aus den Häusern gelaufen sein. Je mehr Menschen auf engem Raum beieinander waren, desto größer das Risiko. Bis allen bewusst geworden war, woher die Gefahr rührte, musste es für die meisten zu spät gewesen sein.
Vogelschwärme kreisten über der Stadt und stießen hinab ins Licht. Jetzt fiel mir auf, dass sich auf einigen Dächern dunkle Punkte bewegten, Gruppen von Menschen, die sich dort hinaufgerettet hatten. Mit Flaggen aus Kleidungsstücken und Bettlaken versuchten sie, auf sich aufmerksam zu machen. Unten im Straßenlabyrinth hatten sie keine Chance. Mit Fahrzeugen gab es kein Durchkommen und zu Fuß war der Weg aus der Stadt viel zu weit.
Jenseits der Hafenanlagen erstreckte sich das Mittelmeer in strahlendem Blau bis zum Horizont. Weiter draußen kreuzten zahlreiche Jachten, Fischerboote und gewaltige Frachter, deren Besatzungen wohl gerade überlegten, wo und wann und ob sie überhaupt jemals wieder an Land gehen konnten.
»Der Flughafen liegt weiter östlich«, sagte Tyler und deutete nach links. Von hier aus war nichts davon zu sehen, auch der Himmel war leer. »Bleibt ihr hier.« Er nickte in Richtung der Wagenburg. »Ich geh mal rüber. Vielleicht geben sie uns Wasser ab oder irgendwas zu essen.«
»Nie im Leben«, sagte Emma.
Ich nickte. »Stimmt.«
»Ich will’s wenigstens versuchen.«
»Dann komme ich mit.«
»Nein. Einer, der fahren kann, muss beim Wagen bleiben.« Er brachte ein dünnes Lächeln zu Stande. »Außerdem werden sie nicht gleich aus allen Rohren losballern.«
»Pass ja auf dich auf.«
Er verzog einen Mundwinkel und deutete auf unseren Wagen. »Geht nicht vom Auto weg. Wir müssen weiter, ehe Haven uns einholt. Also wird das hier nicht lange dauern.«
Zwischen den Fahrzeugen der Wagenburg standen mehrere Männer und Frauen. Tyler ging langsam hinüber, merklich bemüht, sie seine Hände sehen zu lassen. Emma und ich beobachteten, wie er mit einigen Männern sprach, gestern noch gewöhnliche Familienväter, vielleicht Verkäufer im Möbelhaus nebenan, heute die Anführer eines Stammes Überlebender.
Nach ein paar Minuten kehrte er mit leeren Händen zurück. »Ihr hattet Recht, sie rücken nichts raus. Wasser sei kein großes Problem, sagen sie, am Rand der Wohngebiete gebe es genug Wasserhähne in den Gärten, an die man herankommt, ohne in den Radius der Geister zu geraten. Nahrung sei schon schwieriger. Der nächste Supermarkt war wohl einigermaßen sicher, bis er am frühen Morgen geplündert wurde und ein paar Idioten aufeinander eingeschlagen haben. Zuletzt hat jemand um sich geschossen und nun, sagen sie, sei der Laden ›mit Lächeln verpestet‹.«
Ich musterte Tyler. »Das ist nicht alles, oder? Du hast sie noch was gefragt.«
»Zwanzig Kilometer weiter westlich gibt es einen privaten Flugplatz. Sie sagen, dass ihn Männer in schwarzen Overalls besetzt halten und niemanden hereinlassen. Auf der Startbahn steht eine Transportmaschine.«
»Es ist Irrsinn, sich mit Lionheart anzulegen!«
»Ihr könnt hierbleiben, wenn ihr wollt.«
Emma und ich blickten zu der kläglichen Wagenburg und dem Häuflein Menschen hinüber, das auf einem leeren Möbelhausparkplatz auf das Ende wartete. Früher oder später würden die Ersten einen Lagerkoller bekommen, die Gruppe würde zerfallen, die Stärkeren mit Waffen und Vorräten
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