Phantasmen (German Edition)
Ihnen ursprünglich doch um mich ging«, sagte Tyler, »warum haben Sie die beiden nicht laufenlassen?«
»Oh, bei unserer ersten Begegnung in der Hot Suite war noch nicht bestätigt, wer Sie sind. Das konnte ich erst heute Nacht den Papieren in Ihrer Jacke entnehmen. Meine Männer brachten mir das Mädchen und den Laptop, und wie Sie sehen, mangelt es uns hier nicht an Platz für ein oder zwei weitere Passagiere. Ich habe Mister Whitehead darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir Sie aufgestöbert haben, und er hat mich ausdrücklich gebeten, Sie zu ihm zu bringen. Miss Mazursky und ihre Schwester sind dabei unsere Garantie, dass Sie sich weiterhin kooperativ verhalten werden.«
Tyler sprang abermals auf und diesmal war sein Gesicht nur noch eine Handbreit von Havens entfernt. »Wenn Sie ihnen –«
» Mister Tønseth!«, fuhr Haven ihm über den Mund. »Setzen Sie sich! Ich hatte bislang keine Veranlassung, einem von Ihnen zu drohen, und ich würde unser Gespräch gern auf höfliche Weise fortsetzen.«
»Setz dich«, sagte ich leise zu Tyler. »Lass ihn weiterreden.«
Mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er Glassplitter verschluckt, nahm Tyler wieder Platz.
»Was immer Sie auch über mich denken mögen«, sagte Haven, »ich bin nicht darauf aus, Ihnen auch nur ein Haar zu krümmen. Keinem von Ihnen. Woran mir liegt, ist Ihre Mitarbeit. Glauben Sie, ich wäre sonst so ehrlich zu Ihnen? Wir sitzen alle im selben Boot, ob uns das gefällt oder nicht. Da draußen geht die Welt unter, und der Einzige, der den Prozess vielleicht noch aufhalten kann, ist Timothy Whitehead.«
»Er ist ein größenwahnsinniger Prediger!«, entfuhr es Tyler.
Haven nickte bedächtig. »Mit einem geschätzten Vermögen von zwei Komma vier Milliarden Dollar. Damit hat er in den vergangenen Jahren gewisse Forschungen in Auftrag gegeben, die aus dem Ruder gelaufen sind. Dummerweise kann nur er diesen Fehler korrigieren. Mit Ihrer Hilfe, Mister Tønseth.«
Tyler war so sprachlos wie ich. Emma stöhnte leise, regte sich aber nicht.
»Sie meinen«, brachte ich mühsam hervor, »Whitehead ist dafür verantwortlich? Für die Geister? Und für die Smilewaves? Er hat all die Menschen auf dem Gewissen?«
»Es ist noch ein wenig komplizierter«, sagte Haven. »Niemand ist allein dafür verantwortlich. Im Laufe der Zeit gab es eine Menge Leute – und das schließt auch mich ein –, die in seinem Auftrag Dinge getan haben … Wir alle haben Fehler gemacht, als wir uns auf diese Sache eingelassen haben, das steht außer Frage. Und nur wenige von uns haben noch die Möglichkeit, Buße zu tun und unsere Verfehlungen zu korrigieren.«
»Den Mord an meinen Eltern können Sie nicht korrigieren !«, fuhr ich ihn an.
»Nein, Miss Mazursky.«
»Es geht Ihnen doch nicht um die Welt da draußen, Colonel Haven.« Ich betonte seinen Namen so penetrant wie er die unseren. »Ihre Tochter wird so oder so sterben. Sie wird zum Geist werden wie alle anderen und sie wird bis in alle Ewigkeit in ihrem Krankenzimmer gefangen sein, ausgerechnet an dem Ort, den Sie am meisten hassen. Das ist es doch, was Ihnen zu schaffen macht, nicht wahr?«
Haven starrte mich an. Er brauchte mich nicht, nur Emma. Eine von uns beiden genügte ihm als Faustpfand für Tylers Gehorsam. Seine Hand lag auf der Lederklappe seines Pistolenhalfters, sein Zeigefinger berührte den Druckknopfverschluss.
Aber er ging nicht auf das ein, was ich gesagt hatte. Er lächelte mit einem Mal ohne jede Spur von Belustigung. »Flavie Certier ist der Schlüssel zu allem. Und Sie, Mister Tønseth, sind der Schlüssel zu ihr .«
Tyler öffnete den Mund, sagte aber nichts.
»Ihre Freundin ist in New York und Sie werden sie bald wiedersehen. Ihre Rolle wird dabei die eines Vermittlers sein.«
»Was –«
»In den ersten Monaten, als Flavie und die anderen noch bei Sinnen waren, hat sie während ihrer Wachphasen unablässig Ihren Namen gerufen. Wieder und wieder und wieder.«
In Tylers Blick stand die pure Mordlust. Hätte unverhohlener Hass sich in Grad messen lassen, dann wäre die Temperatur an Bord gerade bis zur Weißglut angestiegen.
»Alles Weitere werden Sie vor Ort erfahren«, sagte Haven. »Nur so viel: Flavie Certier und die sieben anderen sind außer Kontrolle geraten« – er deutete zu den bewusstlosen Probanden –, »und zwar sehr viel folgenreicher außer Kontrolle als diese vier. Wir haben sie aus der Hot Suite geholt, weil Whitehead hofft, neue Erkenntnisse zu gewinnen.
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