Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
Wildnis keine langen Lebenslinien.“
Dann ging sie zurück in den Nebenraum.
Jay und Crobs sahen sich an. „Super Weihnachten“, kommentierte Jay trocken.
Es klopfte. Wieder an der Tür.
„Hoffentlich ist es diesmal der dazu passende Weihnachtself!“, knurrte Crobs und riss das unschuldige Holz beinahe aus der Verankerung.
Es war ihr Nachbar, eine einzige Masse aus Muskeln, und er nickte gen Boden.
„Ist das euer Sarg?“
Stumm wie Fische betrachteten alle die längliche, schwarze Kiste mitten im Flur.
„Tatsächlich ist das mein Sarg. Darf ich, bitte? Danke!“ Rachena ließ sich durch Blicke nicht beirren, schnappte sich einen Messinghenkel und zog den Aufbewahrungsort für Tote in die Wohnung, die ihr nicht gehörte.
Jay und Crobs starrten den Nachbar an und der starrte ohne Regung zurück. „Macht keinen Scheiß“, sagte er knallhart und ging.
Crobs schlug sich die Hand vors Gesicht. „Warum?“, fragte er niemand bestimmten.
Niemand gab ihm auch keine Antwort.
„Ich gehe einkaufen; einer muss mit und einer muss hierbleiben.“ Rachena lächelte erwartungsvoll.
„Du willst also echt so ein Weihnachtsding durchziehen?“, wollte Jay wissen und verschränkte die Arme.
Der Sarg lag einfach mitten im Weg und strahlte das Gefühl von einem grotesken Witz aus.
„Wenn du einen besinnlichen Abend mit dem Höhepunkt eines Geschenkeaustausches unter einem reich geschmückten Nadelbäumchen im Sinn hast, dann ja. Aber vorher müssen wir einkaufen gehen. Nicht einmal Mäuse finden hier einen Krümel. Außerdem ist Eile angebracht, sonst machen die Geschäfte zu.“
„So ein Mist! Ich gehe, damit die keinen Blödsinn macht. Außerdem kommst du besser mit so Toten-Kram zurecht. Das Teil macht mich nervös“, maulte Crobs und holte eine Jacke.
Dann verließen sie die Wohnung, ohne zu ahnen, was sie erwarten würde, wenn sie zurückkamen.
Die Suche nach Lebensmitteln und geöffneten Läden endete ergebnislos.
Rachena stieß Schimpfwörter und derbe Flüche aus, die hier besser nicht genannt werden sollten.
„Mein schaffensreicher Plan ist zunichte!“ motzte sie und warf wütend einen Schneemann um. „Jetzt muss ich mir was Neues ausdenken, verdammt nochmal! Wertvolle Stunden meines Lebens hat mich der Mist gekostet!“
Der Rückweg war voll von derartigen Reden, und Crobs wagte es nicht zu erwähnen, dass sie einfach hätte früher kommen sollen. Oder besser gar nicht.
Als sie die Räumlichkeiten betraten, war es still. Äußerst still.
„Jay?“, rief Crobs irritiert.
„Seid ihr zurück? Oh Gott sei Dank!“, erklang es von irgendwoher, dumpf und schallarm.
„Wo bist du, du Vollidiot?“
„Im Bad.“
„Warum?“
„Weil der Sarg sich bewegt hat!“
„Erzähl keinen Scheiß!“
„Genau, erzähl keinen Scheiß! Mr. Clockwell kann sich gar nicht bewegt haben! Es ist noch nicht 11 Uhr!“, mischte sich Rachena ein und erntete einen Blick von Crobs, den man aufgrund seiner Irritation nicht beschreiben konnte.
„Er hat sich aber bewegt!“ Jay kam aus dem winzigen Badezimmer, tastend und vorsichtig, als traue er der Holzkiste nicht.
„Blödsinn!“
Die Hexe ging in die Knie und zog ruckartig am mit unheimlichen Schnörkeln verzierten Deckel.
Jay, der diverse Abenteuer in Grüften, Museen und Kirchen hinter sich hatte, die beinahe alle mit Polizei und wütenden Pastoren endeten, hatte noch nie so etwas Makaberes gesehen.
Crobs Gesicht war beinahe pigmentlos, als er begann, sich die Schläfen zu reiben, um möglicherweise einen entspannenden Effekt zu erzielen.
„Seht ihr? Mr. Clockwell ist regungslos wie ein Granitblock.“ Rachena lachte über ihren Scherz, während die Katze in den Sarg hüpfte und sich auf dem Becken zusammenrollte.
„Ein Skelett mit einer Weihnachtmütze. Ich spinne, definitiv“, wisperte Crobs sich selbst beruhigend und wandte sich ab.
„Ihr seid solche Luschen. Ernsthaft. Die Toten haben auch Lust zu feiern. Unsoziale Mistkerle. In anderen Kulturen bekommen sie Kekse und eigene Weihnachtsbäume auf ihre Gräber, damit sie auch was davon haben.“
Rachena erzählte es derart ruhig, dass Jay sich setzen musste. Die Sache wuchs ihm über den Kopf.
„Und jetzt? Es ist fast sechs Uhr. Wir haben weder einen Baum, noch Geschenke, geschweige denn, was zum Essen“, meinte er niedergeschlagen.
„Gib‘s doch zu, du bist gar keine Hexe, sondern nur ein dahergelaufenes Mädchen, das nirgendwo hinkonnte und zufällig total irre ist“, seufzte Crobs
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