Phantastische Weihnachten: 24 Geschichten zum Weihnachtsfest (German Edition)
denen, die kein Deutsch konnten. Der Punker umarmte den Hopper (aber nicht ohne Bierflasche), Choleriker sprachen mit Melancholikern, der Schlägertyp mit dem Langweiler.
Es war als hätte sich die Welt in diesem Drecksviertel mit all den Schmarotzern, Abgebrannten, vom Schicksal Gebeutelten, Arbeitslosen, Migranten, Typen, die einfach niemand mochte, Schulabbrechern und allen andren sozialen Außenseitern gewandelt.
Für vielleicht nur diese Nacht war alles irgendwie anders.
Crobs blieb stehen, denn vor ihm stand die sonst aschgrüne Tanne, behangen mit Lichtern, die die Farbe wechselten, Sternen, Strohfiguren, Zinnmännern, Schaukelpferden, Äpfeln, Lamettafäden, Lakritzstangen, silbernen Vögeln, Monden, Plätzchen, Kerzen und allem Möglichem.
Der Baum wirkte so viel größer, mächtiger und beeindruckender, als Crobs ihn in Erinnerung hatte.
Darunter lagen Geschenke, aber anscheinend waren sie keine leeren Hüllen, denn einige Leute suchten, schienen zu finden und rissen freudestrahlend das schimmernde Papier herunter.
Neben dieser beliebten Attraktion befand sich ein Karussell, auf dem Kinder und auch Erwachsene fuhren. Alte, liebevoll restaurierte Pferde mit Mähnen, glitzernd, an Stangen fest gemacht, wie in einem Fernsehmärchen.
„Wow!“ Jay schaute sich genauso staunend um wie Crobs.
Da hatte sich jemand verdammt viel Mühe gegeben.
„Wollt ihr einen Kinderpunsch?“ Eine Frau mittleren Alters mit gefärbten, schwarzen Strähnen und einem ausgeglichenen Gesichtsausdruck hielt ihnen ein Tablett hin.
„Kostet auch nichts.“
Jay erkannte sie als die Putzfurie aus dem Untergeschoss, normalerweise ein keifendes Biest und gegen jegliche Art von Keimen allergisch. Ihr Hobby war Anschreien anderer Personen, aber das sah man ihr nicht an. Zumindest nicht in diesem Moment.
„Was ist das hier? Wo kommt der ganze Kram her?“, wollte Jay wissen und nahm sich eine angeschlagene, bienengelbe Tasse mit Punkten.
Die Furie zuckte mit den Schultern.
„Jemand hat geklingelt, aber niemand war da. Und plötzlich hab ich so ein Geklimper gehört. Dann bin ich raus und das Zeug stand hier. In den Buden war keiner, aber es war überall was drin. Heißer Tee, Honigplätzchen, diese Geschenke, der Baum. Alles. Und dann kamen immer mehr Leute. Ist doch nett, oder?“
Sie grinste, ihr selbst angenommener Job schien ihr zu gefallen.
„Ja, das ist super. Danke“, meinte Jay und drehte sich zu Crobs um.
„Wir sollten Rachena suchen.“
Er erstarrte, denn Crobs war verschwunden.
„Klasse“, seufzte Jay und schlenderte weiter.
Der Schneefall wurde eine Spur sanfter, die Stimmung ausgelassener, und Jay entdeckte immer mehr.
Eine im Viertel bekannte Punkband spielte Lieder in einem knalligen Style, mit hartem Bass, viel Gitarrenklang und einer dicken Araberin, die dazu sang, in einer unbekannten Sprache, aber im weihnachtlichen Kontext.
Zwischen einer Feuertonne und einem Stand, bei dem man hübschen Schmuck bekam, erzählte ein Mann festliche Geschichten, überaus blutig, aber mit Herzenswärme, und es lauschten ihm erstaunlicherweise nicht nur Kinder.
Neben den überdimensionalen Weihnachtsbaum tanzte eine Gruppe Jugendlicher, die wohl Engel darstellen sollten, und etwas weiter rechts spuckte eine tätowierte Frau im Minirock Feuer, keineswegs elegant, aber dafür umso beeindruckender.
Jay bemerkte nicht, wie der Mond wanderte.
Er besann sich erst wieder der Zeit, als er in den Menschenwirren eine Gestalt entdeckte, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
Es war ein Mann mit einem beeindruckenden Zylinder, er sprach mit einer kleinen, drahtigen Frau mit überaus wirren, schwarzen Haaren.
Einen Augenblick lang überlegte er, aber dann war er sich sicher, dass er ihn nicht kannte.
Jay ging etwas näher, und auf einmal drehte sich der Unbekannte um.
„Was guckst du so blöd?“, fauchte die Frau und verschränkte die Arme.
„Nichts“, wiegelte Jay erschrocken ab und der Zylindertyp lachte.
„Schön, dass man an Weihnachten nicht allein sein muss, oder?“ Seine Stimme klang warm und etwas rau, als würde er sie nicht oft benutzen.
„Sicher.“ Der Junge in Schwarz lief weiter, doch seine Augen blieben an der mysteriösen Erscheinung haften.
„Du bist so ein Vollidiot, Clockwell!“, zischte die Frau, aber es war leise, denn das Gedränge nahm zu.
Clockwell? Es dauerte einen winzigen Augenblick, dann sprang Jays Herz von einer Sekunde auf die andere in einem rasend schnellen Takt.
Clockwell war
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