Phantom der Tiefe
Vielleicht haben Sie sich nur um ein paar Meter geirrt«, sagte die Leiterin der Expedition. Auch ihr war die Enttäuschung anzumerken.
Kemer schüttelte den Kopf. In diesem Moment ertönte ein Aufschrei, der jäh wieder endete.
»Zeytan!« rief jemand.
Kemers Blicke suchten vergebens nach dem Bergführer.
»Er ist verschwunden!« fuhr der Soldat in seiner Nähe fort. »Da -vor meinen Augen ...!«
Im nächsten Moment entdeckte Kemer das Sicherungsseil, das ihn während des ganzen Aufstiegs mit Zeytan verbunden hatte. Es lag auf dem Schnee, als wäre es abgeschnitten worden.
Von Zeytan fehlte jede Spur.
*
Es dauerte lange Sekunden, bis Kemer begriff, daß das Seil nicht durchschnitten worden und auch nicht gerissen war, sondern .
»Schnell! Helft mir!«
Er bückte sich und hob das Seil auf. Er verstand nicht, warum er keinen Ruck verspürt hatte, aber das geriet zur Nebensache.
Kaya Beishir tauchte neben ihm auf. »Was ist?«
»Helfen Sie mir, ihn herauszuziehen!«
»Herauszuziehen?«
Kemer antwortete nicht mehr. Er spürte bereits Widerstand -wenn auch viel geringeren, als normal gewesen wäre. Und auch die Expeditionsleiterin sah jetzt, daß dort, wo das Seil scheinbar endete, es sich plötzlich fortsetzte, weil Kemer daran zog .
Sie griff zu, stellte keine weiteren Fragen, sondern half.
Es wäre nicht nötig gewesen.
Das Gewicht am anderen Ende des Seiles war so gering, daß Ke-mer es mühelos allein bewältigt hätte.
Und dann sahen sie, warum.
Sahen es in dem Augenblick, als Zeytans Anzug aus der Schneedecke hervorglitt, ohne diese auch nur geringfügig in Mitleidenschaft zu ziehen!
Nur Zeytans Anzug!
Als Kaya Beishir auf ihn zueilen wollte, hielt Kemer sie zurück. Seine behandschuhten Finger krallten sich in den Ärmel ihrer Ther-mokleidung. »Nein! Keinen Schritt in diese Richtung! Wir wissen nicht, wo es beginnt...!«
»Was meinen Sie?«
Statt zu antworten, zog Kemer den leeren Anzug weiter auf sich zu, bis er vor seinen Füßen lag. Auch die anderen aus der Gruppe umringten ihn.
Und dann sahen sie es.
Daß die Kleidung nicht ganz leer war. Daß noch etwas darin gärte und faulte ... etwas, das wie schwarzer Schleim aussah, aber keiner war.
Kaya Beishir bückte sich und zog Kemer, der sie immer noch festhielt, mit sich hinab.
Der Gestank war kaum zu ertragen.
»Sehen Sie sich das an«, flüsterte die Frau hinter ihrem Schal. »Seine Kleidung ist naß, als hätte sie in Wasser gelegen. Aber es ist kein Wasser - es ist . Allmächtiger, es ist .«
Säure, vollendete Kemer in Gedanken. Und alles, was sie von einem Menschen übriggelassen hat, ist dieser ... Schleim!
Sein Blick wanderte zu der Stelle, wo Zeytan ohne einen Ruck weggetaucht war.
Er begriff nicht, was hier passiert war. Warum dort, wo das Unglück geschehen war, immer noch Schnee zu liegen schien - unversehrter Schnee ...
Und selbst wenn dort der gesuchte Stollen begonnen hätte - was hatte dann Zeytan gefressen? Und warum hatte es ihn, Kemer, vor Monatsfrist verschmäht .?
Als er das nächste Mal den Augen Kaya Beishirs begegnete, las er darin dieselben Fragen.
Aber keine Antworten.
»Wir kehren um«, hörte er sie sagen. »Aber wir kommen zurück -das schwöre ich!«
Einen beinahe leeren Anzug im Schlepp, machten sie sich an den Abstieg.
*
Wiederum einige Zeit nach diesen Ereignissen Gegenwart
Das Bild der kargen Landschaft wirkte seit Landrus letztem, nun schon Jahre zurückliegenden Besuch völlig unverändert.
Verändert habe nur ich selbst mich, dachte er, und für einen bizarren Moment schien es ihm vorstellbar, daß die dunkle Kraft in ihm auch auf seine Umgebung ausstrahlte - daß er ein noch perfekterer Unheilsbote geworden war als damals nach seiner Rückkehr aus dem Zeittunnel bei Uruk, als er unwissentlich das Verderben für alle von ihm getauften »Kelchkinder« mitgebracht hatte.
Seufzend löste er die Lippen von der weichen Haut und dem warm daraus hervorsprudelnden Quell, der ihm wohlgetan hatte nach der hektischen Reise von einem Ende der Welt zum anderen.
Starr-gläsern und doch auch erregend in ihrer Einfalt stierte ihn die Seele seines Opfers aus dessen Augen an. Eine Seele, die bang fragte: Wirst du mich nun töten oder schonen?
Er beendete die allzu berechtigte Furcht, indem er den Kopf der jungen Frau, die er vor dem kleinen Flughafen von Ani - auch ihres sehr robust wirkenden Autos wegen - ausgesucht hatte, einmal vollständig um seine Achse drehte.
Landru plazierte die Tote hinter
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