Phantom der Tiefe
zu schneien. Ab und zu fluchte einer der Fahrer aus dem Funkgerät, mit dem der Konvoi Verbindung hielt .
*
»Was mag aus den Wassermassen geworden sein?« wandte sich Kaya an den Offizier, von dem sie das Nachtsichtgerät erhalten hatte, das sie gegen ihre Augen gepreßt hielt und mit dem sie sich die Gipfelregion des Ararat trotz Dunkelheit und leichtem Schneetreiben näherholte.
Der Berg sah aus wie mit einer grauglänzenden Glasur überzogen, doch das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß der eisige Mantel mehr als einen Meter dünner geworden war. Die Satellitenvermessung ließ daran keine Zweifel. Etwas, von dem sie nicht wußten, was es war, hatte die nötige Wärme erzeugt, um den Schnee und das Eis zu schmelzen - gleichzeitig war das Schmelzwasser verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen.
»Theoretisch«, sagte der ranggleiche Offizier, »können sie nur im Berg versickert sein. Aber Vergleichbares ist in dieser Gegend noch nie beobachtet worden. Zumindest nicht, seit solche Beobachtungen schriftlich festgehalten werden .«
Kaya nickte, gab das schwere Fernglas mit eingebautem Restlichtverstärker zurück und wandte sich den Zelten zu, bei denen sich Tersane herumtrieb. Die Zelte, die er und die anderen Pilger zu Weihnachten hier errichtet hatten und die immer noch standen. Die meisten zumindest.
Als sie die Markierung überschritt, meinte Kaya etwas zu fühlen. Aber es konnte auch Einbildung sein.
Ein kniehoch gespanntes Seil kennzeichnete den Verlauf der Grenze, hinter der nichts mehr funktionierte, was von Strom oder einer anderen Energiequelle gespeist werden mußte.
Das Phänomen, von dem Sardre erzählt hatte.
Seit sie vor einer Stunde am Fuß des Ararat angekommen waren, wußte Kaya, daß der Oberst ihr kein Märchen aufgetischt hatte. Mit einem der Lastwagen hatte sie die Probe aufs Exempel gemacht. Er hatte die Markierung einfach niedergewalzt und war dann ausgerollt - weil sein Motor augenblicklich ausgefallen war!
Außer diesem Beweis für die Existenz des unsichtbaren Feldes gab es noch andere, eindrucksvollere Beweise: In zweihundert Metern Entfernung standen mehrere Panzer herum. Sie hatten sich dem Berg vor Entstehen des Phänomens genähert. Um sie aus der betroffenen Zone herauszubefördern, hätte man sich mit menschlicher oder tierischer Zugkraft bescheiden müssen, aber selbst dann hätte der Aufwand in keiner Relation zum Nutzen gestanden. Lieber hoffte man auf den Tag, da die Technik wieder ebenso abrupt funktionierte, wie sie versagt hatte .
Kayas gefütterte Stiefel versanken knöcheltief im Pulverschnee. Laut Wetterbericht sollte es bis zum Morgen aufgehört haben zu schneien. Dem Aufstieg stand nichts im Wege. Kaya hatte diesbezüglich schon mit dem vierschrötigen Selim Zeytan, ihrem ortskundigen Führer, gesprochen und es sich bestätigen lassen. Allmählich fieberte sie den Dingen, die sie vielleicht entdecken würden, entgegen.
Beim Camp brannten Petroleumlampen. Den Widerspruch, daß sie funktionierten, benzinbetriebene Motoren aber nicht, konnte sich Kaya so wenig erklären wie jeder andere, dem diese Diskrepanz bislang bewußt geworden war. Sie rief nach Tersane, erhielt aber zunächst keine Antwort. Als sie an einem der kleineren Zelte vorbeikam, hörte sie jedoch Geräusch darin und sah Licht aus den Nähten dringen.
Sie schlug die Plane vor dem Eingang zurück.
»Hier sind Sie also«, sagte sie, als sie den Mann am Boden kniend erkannte. »Haben Sie mich nicht rufen hören?«
»Doch.«
»Aber ...?«
»Ich dachte, ich könnte wenigstens hier ein paar Minuten allein sein.«
»Ist das Ihr Zelt?«
»Das meines Großvaters.«
Kaya senkte die Stimme. »Sie haben ihn sehr gemocht, nicht wahr?«
Tersane schwieg.
»In Ordnung, ich gehe wieder.« Sie zog den Kopf zurück, ohne das Zelt betreten zu haben, und ließ die Plane wieder fallen.
»Ich wollte Ihnen nur raten, früh schlafen zu gehen«, sagte sie noch. »Sofort nach Sonnenaufgang brechen wir auf.«
Kaya wollte sich schon abwenden, als sie bemerkte, wie drinnen das Licht erlosch. Sie hörte Schritte und Tersane rufen: »Warten Sie, ich komme mit. Hier bin ich fertig.« Er tauchte aus dem Zelt.
»Haben Sie etwas Bestimmtes gesucht?« fragte Kaya. »Soviel ich weiß, wurden die Zelte ausgeräumt. Alle Gegenstände befinden sich in Verwahrung des Militärs.«
»Ich habe gebetet«, sagte Tersane. »Nur gebetet.«
Langsam kehrten sie zu den Wagen zurück, um sich in der beheizten Koje
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