Phantom der Tiefe
einen knappen Meter unter die Oberfläche des Säurebassins getrieben worden war und die Wände des zerstörten Kamins mit wenigen Schwimmstößen erreichbar waren - selbst für einen blinden Schwimmer, der sich nur auf seine Intuition und sein Orientierungsgefühl verließ.
Landrus aufquellende Finger schlugen gegen etwas Hartes und bekamen es zu fassen. Die andere Hand, von der sich triefend das Gewebe löste, als wäre es schmelzendes Wachs, setzte nach und fand ebenfalls Halt.
Landru spannte die Sehnen und Muskeln, von denen bereits Strang um Strang riß. Die auch gefressen wurden. Mit letzter Kraft und verätzten Atemwegen, röchelnd wie ein krebszerfressener Todeskandidat, mehr blutender, schwammiger Klumpen Fleisch als der Mächtige, der er eine Minute zuvor noch gewesen war, zog er sich auf einen Felsvorsprung. Dort sank er förmlich in sich zusammen. Die Luft, die er einsog, schien unterwegs zu seinen Lungen aus unzähligen Löchern zu entweichen. Mit Blindheit geschlagen waren seine Augen, deren Gallertmasse blasenwerfend auf die Säure reagierte.
Seine Schleimhäute existierten de facto nicht mehr, und so vermochte Landru auch nicht den Duft aufzufangen, welcher der Säure anhaftete. Jenen aberwitzigen Lockstoff, den kein noch so vermeintlich dichtes Material auszusperren vermochte .
*
. und der schon Kaya Beishir betört hatte.
Bis zu dem Moment, als sie mitansehen mußte, wie Takim starb -und was ihn umbrachte!
Seither war sie auf der Flucht!
Seither schwamm sie um ihr Leben!
Sie hatte völlig die Orientierung verloren, wußte nicht mehr, wo der Schacht lag, durch den sie gekommen war. Aber dieser unterirdische Säuresee mußte irgendwo enden, irgendwo über ihr!
Kaya hatte die Fackel, in deren Licht sie Takim sterben sah, fallen gelassen. Sie war hinab zum Boden des absurden Gewölbes gesunken, wo sie weiterbrannte. Aber ihr Schein reichte nicht bis dorthin, wo sich Kaya bewegte. Kaya, die nicht wagte, eine neue Fackel zu entzünden, um das, was sie gesehen hatte, nicht auf ihre Spur zu bringen.
Als Kaya unter sich blickte, verdeckte etwas für Sekunden den Schein der chemischen Fackel. Die Frau wußte sofort, was das bedeutete.
Es kam!
Es folgte ihr, gab sich nicht mit Takim zufrieden!
Kaya war unfähig, die Erinnerung daran zu verdrängen, wie Ta-kims Kopf zwischen den häßlichen Zähnen des Ungeheuers verschwunden war - und wie sich dessen Gebiß geschlossen hatte.
Schneller!
Um sie herum und über ihr war vollkommene Schwärze. Adrenalinstöße peitschten Kaya unkontrolliert voran. Ließen ihr keine Zeit mehr zum Nachdenken.
Sie spürte es nahen!
Es war schnell, viel schneller als sie, und gleich .
In dem Tauchkurs war ihr beigebracht worden, wie gefährlich es war, zu rasch aus großer Tiefe an die Wasseroberfläche zurückzukehren. Aber darüber machte sie sich, den Tod vor Augen, keine Gedanken.
Sie hatte vergessen, daß auch sie getötet hatte: Cadir und Baraz. Etwas Fremdes hatte ihre Hand geführt. Ein Wahn, der sich als verführerischer Duft tarnte .
Kaya spürte kaum noch ihre Glieder. Die Anstrengung machte sie taub. Höher und höher trieb ihr Körper, aber auch das, was ihr folgte, gewann an Höhe. Ihr Vorsprung schrumpfte stetig ...
Kaya brauchte nicht mehr zurückzublicken, um zu wissen, was die Stunde geschlagen hatte. Der mächtige Körper des Verfolgers verdrängte die zähe Säure, als wäre er ein Geschoß, das von einem Katapult abgefeuert worden war.
Kaya fühlte etwas an ihrem linken Bein.
Im selben Moment durchstieß ihr rechter Arm die Oberfläche.
Ihr Helm tauchte aus der Flüssigkeit. Von einer Dunkelheit in die andere. Kaya war nicht in der Lage zu sehen, wo sie sich befand. Sie sah auch keinen Halt, spürte nur, wie ihr Anzuggummi im Bereich der linken Wade riß und die Säure .
»Neeeiiinn!«
Mit dem Schrei spie sie das Mundstück ihres Atemschlauchs aus.
Der Schmerz, der in sie floß, löschte fast ihr Bewußtsein aus. Sie schlug um sich, wühlte die Oberfläche des Säuresees auf. Krallen zogen eine Spur das Bein entlang bis zu den Knöcheln.
Fast schon bewußtlos riß Kaya ein letztes Mal die Arme hoch.
Die Masse, die sich um ihr Handgelenk schloß, nahm sie schon nicht mehr wahr.
Auch nicht den Ruck, mit dem sie aus dem Element der Vernichtung gezerrt wurde .
*
Kemer Tersane nahm die Kälte, die sich zentimetertief in die freiliegenden Bereiche seines Gesichts verbissen hatte, kaum wahr. Wie hypnotisiert starrte er auf die Stelle, an
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