Phantom der Tiefe
der Kaya Beishir verschwunden war - und mit ihr drei weitere Personen.
Er nicht.
Ihm hatten sie es nicht gestattet.
Unbewußt ballte er die Hände zu Fäusten. Dem Mut der Frau, die ihr Versprechen gehalten und ihn aus der Hölle der Psychiatrie herausgeholt hatte, zollte er größte Bewunderung - und mehr. Nun war sie weg, und ein gräßliches Gefühl in Kemers Bauch gab vor zu wissen, daß er seinen Schutzengel nie mehr wiedersehen würde. Höchstens noch als schleimige Masse, wie sie von Zeytan übriggeblieben war.
Wie ein dunkler Strich lag das an einem Pflock gefestigte Seil auf dem Schnee. Die Taucher waren nicht damit verbunden. An seinem Ende war lediglich ein Gewicht befestigt, das ein Stück weit in die Säure hineinragte. So hatten sich Kaya und die anderen am Seil den abschüssigen Hang bis zum Stolleneingang hinablassen können.
Den Stollen, den Kemer Weihnachten noch ungetarnt gesehen hatte. Nun wurde er verborgen - aber wovon ?
Etwas gaukelte ihnen dort, keinen Steinwurf entfernt, lediglich verschneiten felsigen Untergrund vor.
Zunehmende Unruhe unter den anderen Expeditionsteilnehmern - ausnahmslos Männer, ausnahmslos Soldaten - lenkte auch Kemers Aufmerksamkeit auf ein langsam anschwellendes Geräusch.
Als er den Blicken der anderen folgte, bemerkte er einen riesigen Hubschrauber, der sich aus dem Landesinnern näherte, zunächst genau auf das Gebirge zuhielt, dann jedoch vorzeitig zur Landung ansetzte.
»Was bedeutet das?« wandte sich Kemer an einen der Soldaten.
Der Mann zuckte abweisend die Achseln. Auch andere, an die sich Kemer wandte, hielten sich bedeckt; dabei hatte er das ungute Gefühl, daß sie genau wußten, was die Ankunft des Hubschraubers zu bedeuten hatte. An der Reaktion seiner Begleiter fand Kemer einmal mehr bestätigt, daß die einzige Person, die ihn wie ein Mensch behandelte, dort in dem unsichtbaren Loch verschwunden war.
Vielleicht auf Nimmerwiedersehen.
Sein Magen krampfte sich zusammen, als wollte er das »Vielleicht« ersatzlos streichen, und für einen Moment überkam Ke-mer das selbstmörderische Verlangen, ohne Schutzanzug zu der Stelle zu rennen, an der das Seil verschwand.
Die Anwandlung ging vorbei.
Spürbar besser fühlte er sich danach nicht.
*
Der Hubschrauber landete am Rand des Lagers, das in den letzten Wochen von der Armee eingerichtet worden war, und Oberst Nem-rud Sardre wechselte mit energischen Schritten - ohne sich vom Tosen der Rotorblätter bremsen zu lassen - in den Kommandowagen, der von einer dünnen Schneekruste überdacht im Zentrum des Lagers stand. Hundert Meter entfernt begann jene Grenze, die Sardre bislang nur aus den Berichten seiner Offiziere kannte. Jene unsichtbare Schwelle, hinter der rein gar nichts mehr funktionierte, was auf moderner Technik basierte, schon gar kein High-Tech, wie es geballt in diesem Spezialfahrzeug zu finden war .
»Lagebericht!« verlangte der Oberst, nachdem er salutierend begrüßt worden war.
»Die zweite Expedition ist planmäßig heute früh aufgebrochen«, erfuhr er. »Sie hat das Zielgebiet vor knapp zwei Stunden erreicht. Beishir, Takim, Cadir und Baraz befinden sich bereits auf dem Weg ins Berginnere ...« Der Rapport gebende Offizier wies einen Untergebenen mit einem kurzen Nicken an, den unmittelbar vor Sardre befindlichen Monitor einzuschalten. Sofort baute sich das Bild auf, und der Oberst wurde mit einer Nahaufnahme der Araratregion bedient, in der die Expedition ihren Stopp eingelegt hatte. Eine Kamera auf dem Dach des Wagens zoomte die Gegend so klar heran, daß Sardre zwar nicht in den Gesichtern der Männer lesen konnte, aber einen brauchbaren Überblick über die dort herrschenden Verhältnisse gewann.
»Wir haben keinerlei Kontakt zu dem Trupp?«
»Nein. Aber die Männer sind klar instruiert.«
Sardre nickte.
»Wo soll sich dieser ominöse Eingang befinden?« fragte er.
Sein Gesprächspartner zeigte mit dem Finger auf eine Stelle im Schnee, zu der ein dunkle Linie führte.
»Unglaublich«, murmelte Sardre. »Haben Sie eine Aufzeichnung vom Aufbruch der Beishir und ihrer Begleiter?«
Ein neuer Wink. Die Szene auf dem Monitor wechselte, und Sardre vertiefte sich in die zwei Stunden zurückliegenden Ereignisse. Er ahnte nicht, daß von den vier Gestalten, die nacheinander in der unsichtbaren Bergöffnung verschwanden, inzwischen drei schon nicht mehr lebten.
Ein unbeherrschter Fluch lenkte Sardre ab.
»Was ist?« bellte er.
Die unflätigen Worte kamen von einem Soldaten,
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