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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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hatte, nur deshalb, weil ich eine Pistole besaß, und nur deshalb, weil auch ich fähig war, zum Mörder zu werden. Aber Wolf setzte sich sofort wieder und sagte:
    »Entschuldigen Sie mich bitte. Ich höre.«
    »Mein Gesicht war es, das Sie über sich sahen, nachdem Sie vom Pferd gestürzt waren. Sie haben sich nicht getäuscht in Ihrer Beschreibung, ich war damals sechzehn. Und sah bestimmt schläfrig aus, denn ich hatte davor an die dreißig Stunden nicht geschlafen. Ich war es, der auf Ihrem Hengst fortritt, da Sie mit Ihrem ersten Schuss meine schwarze Stute getötet hatten. Ich war es, der sich über Sie beugte. Und eilends fortritt, denn der Wind trug mir fernes Hufgetrappel zu. Wie ich kürzlich dem Gespräch mit Wladimir Petrowitsch entnahm, war es das Getrappel jener Pferde, auf denen er und zwei seiner Kameraden Sie suchen kamen.«
    Wolf schwieg. Der völlig betrunkene Chauffeur erzählte erneut von seinem Brief, nun schon einer anderen Kellnerin.
    »Auf ein dermaßen hohes Podest – und du selbst bist herabgestiegen…«
    »Also, Sie sind das«, sagte Wolf mit bestätigender Intonation.
    »Leider ja«, erwiderte ich. »All die Jahre hat mich die Erinnerung daran nie verlassen. Ich habe sehr teuer bezahlt für meinen Schuss. In allen Gefühlen, die ich je hatte, auch den allerbesten, blieb stets ein finsterer und leerer Raum, und darin befand sich unwandelbar ein und dasselbe tödliche Bedauern, dass ich Sie getötet hatte. Und ich denke, Sie werden verstehen, wie froh ich war, als ich Ihre Erzählung las und erfuhr, dass Sie am Leben geblieben waren. Sie entschuldigen nun, hoffe ich, auch meine Taktlosigkeit gegenüber dem Verfasser von ›I’ll Come Tomorrow‹.«
    Ich wartete auf seine Antwort. Er schwieg. Dann holte er tief Luft, und da bemerkte ich, dass er offenbar nicht weniger erregt war als ich. Und er sagte:
    »Das ist derart unerwartet, ich hatte Sie mir so anders vorgestellt, und ich hatte mich so an den Gedanken gewöhnt, dass Sie längst nicht mehr am Leben sind…«
    In der Tür erschien Wosnessenski. Wolf sagte rasch zu mir:
    »Wir beide werden darüber morgen weiterreden, hier, zur gleichen Zeit. Einverstanden?«
    Ich nickte.
    Wosnessenski war an diesem Tag besonders aufgeräumt. Er klopfte Wolf auf die Schulter, drückte mir die Hand und setzte sich an den Tisch. Als die Kellnerin zu servieren begann und eine Karaffe Wodka hinstellte, schenkte er drei Gläschen ein und sagte:
    »Nun, Sascha, behüte dich Gott. Sie auch, lieber Freund. Wer weiß, was uns die Zukunft bereithält?«
    Wolf war zerstreut und schweigsam.
    »England hin, England her«, sagte Wosnessenski nach dem vierten Gläschen, »es heißt, dort verstünden sie zu trinken. Das will ich gerne glauben. Aber ich bin ein schlichter Russe, mich könnt ihr mit keinem England schrecken. Trinken würde ich mit jedem Engländer – und dann schauen wir mal.«
    Danach blickte er vorwurfsvoll zu mir.
    »Unser Freund hier, der hat es mehr mit dem Essen. Natürlich, in einem Restaurant Hungers sterben, das muss nicht sein. Aber die Getränke sind doch die Hauptsache.«
    Als das Grammophon zu spielen begann, sang Wosnessenski, der alle Romanzen kannte, mit seiner tiefen Stimme leise mit. Bei der sechsten Schallplatte sagte Wolf:
    »Du bist unermüdlich, du solltest dir Erholung gönnen.«
    Wosnessenski zuckte die Schultern.
    »Erholung, lieber Freund, wovon? Ich vergesse meine Herkunft nicht, so viele Generationen haben sich vor mir die Kehle aus dem Hals geschrien, darum ist das für mich eine Kleinigkeit.«
    Als wir fertig waren mit dem Essen, spürte ich ein leichtes Brausen im Kopf, obwohl ich nicht viel getrunken hatte. Wosnessenski schlug vor, wir sollten uns die Füße vertreten, wie er sich ausdrückte, aber kaum waren wir auf der Straße, hielt er das erste Taxi an, und wir fuhren zum Montmartre. Dort pilgerten wir von einem Ort zum anderen, und gegen Ende geriet in meiner Vorstellung alles durcheinander. Hinterher fiel mir ein, dass da irgendwelche nackten Mulattinnen gewesen waren, ihr kehliges Geschnatter war vage an mein Ohr gedrungen, danach andere Frauen, angekleidete und ausgekleidete; braungebrannte junge Männer südlichen Typs spielten Gitarre, auch Negergesänge gab es und eine ohrenbetäubende Jazzband. Eine riesige Negerin führte ungewöhnlich kunstvoll einen Bauchtanz auf; ich sah ihr zu, und es kam mir vor, als wäre ihr geschmeidiges schwarzes Fleisch aus Einzelteilen zusammengesetzt, die sich unabhängig

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