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Phantom des Alexander Wolf

Phantom des Alexander Wolf

Titel: Phantom des Alexander Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Gasdanow
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Schuss, eine komplizierte Bewegung entstanden, die kein menschlicher Verstand und keine Einbildungskraft, auch nicht die mächtigste, auch nicht die abscheulichste, hätten vorhersehen oder kalkulieren können. Wer konnte wissen, dass in diesem augenblickskurzen, rotierenden Flug der Kugel im Grunde alles beschlossen lag: die Stadt über dem Dnepr, die unbeschreibliche Anmut Marinas wie ihre Armreifen, ihre Lieder, ihr Treubruch und ihr Verschwinden, Wosnessenskis Leben, der Laderaum des Schiffes, Konstantinopel, London und Paris, das Buch »I’ll Come Tomorrow« und das Motto vom Leichnam mit dem Pfeil in der Schläfe?
    * * *
    Als ich in der nächsten Nacht Jelena Nikolajewna verließ, sagte ich zu ihr:
    »Ich weiß nicht, wann ich morgen komme und ob ich überhaupt komme. Ich werde dich anrufen.«
    »Ist etwas passiert?«
    »Nein, aber ich habe eine sehr wichtige Verabredung.«
    »Mit einem Mann oder einer Frau?«
    »Mit einem Phantom«, sagte ich. »Hinterher werde ich es dir erzählen.«
    Im Restaurant war, als ich hinkam, niemand außer einem beschwipsten Taxichauffeur, der unablässig der Kellnerin, die ihn bediente, die Hand küsste und ihr aus seinem Gefühlsleben erzählte. Ich war zehn vor fünf eingetroffen. Wolf war noch nicht da, deshalb konnte ich hören, was der Chauffeur sagte. Es war ein sehr galanter Mann, wirklich galant, ehemaliger Kavallerist, äußerst liebenswürdig, zumindest in betrunkenem Zustand, und auf altväterische, entmutigende Weise ein Mann von Welt.
    Ich saß und trank Kaffee, und ich bekam mit, wie er sagte:
    »Darauf schrieb ich ihr einen Brief. Ich schrieb: Tja, meine Teuerste, unsere Wege trennen sich. Aber ich fügte einen Satz hinzu, den sie bestimmt nie vergessen wird.«
    »Was für einen Satz denn?«, fragte die Kellnerin.
    »Ich schrieb wortwörtlich: Ich habe dich auf ein dermaßen hohes Podest gestellt – und du selbst bist herabgestiegen.«
    In diesem Augenblick betrat Wolf das Restaurant. Er trug einen anderen Anzug, einen dunkelblauen. Ich drückte ihm die Hand. Er bestellte sich einen Kaffee und schaute mich ruhig und abwartend an. Wenngleich ich viele Male durchdacht hatte, womit ich das Gespräch beginnen und was ich danach sagen würde, gelang es nicht so, wie ich beabsichtigt hatte. Aber das war natürlich nicht von Bedeutung.
    »Vor einigen Monaten«, sagte ich, »erzählte mir Wladimir Petrowitsch an ebendiesem Tisch von seiner Bekanntschaft mit Ihnen. Das war, nachdem mein erster Versuch, etwas über Sie zu erfahren – davon berichte ich später, wenn Sie gestatten –, völlig unerwartet ein Fiasko erlitten hatte.«
    »Was hat überhaupt ein solches Interesse an meiner Person bei Ihnen ausgelöst?«, fragte er. Wiederum musste mir einfach seine Stimme auffallen, eine sehr gleichmäßige, ausdruckslose Stimme ohne abrupte Veränderung der Intonation.
    Ich entnahm meiner Aktenmappe sein Buch, schlug es an der Seite auf, wo die Erzählung »Abenteuer in der Steppe« begann, und sagte:
    »Wie Sie sich erinnern, beginnt Ihre Erzählung mit der Erwähnung des weißen Hengstes von apokalyptischer Schönheit, auf dem der Held seinem Tod entgegenreitet. Nach den Ereignissen, die dann beschrieben werden, fragt sich der Held, was aus dem Mann wurde, der auf ihn geschossen hatte und der auf demselben Pferd den Ritt in den Tod fortsetzte, während er, der Held, mit einer Kugel, die oberhalb des Herzens steckengeblieben war, im Sterben lag, quer über dem Weg. Nicht wahr?«
    Wolf sah mich mit gespannter Aufmerksamkeit an, seine unbeweglichen Augen leicht zugekniffen.
    »Ja. Und?«
    »Ich kann Ihnen diese Frage beantworten.«
    Sein Gesicht veränderte sich nicht, nur seine Augen weiteten sich.
    »Sie können diese Frage beantworten?«
    Der Atem ging mir schwer, ich spürte eine ungewöhnliche Enge in der Brust.
    »Ich erinnere mich so gut, als wäre es gestern gewesen«, sagte ich. »Ich war es, der auf Sie schoss.«
    Er stand plötzlich vom Stuhl auf und blieb einen Moment stehen, wie wenn er etwas tun wollte. Es kam mir vor, als wäre er gleich einen ganzen Kopf größer geworden. Da erblickte ich seine Augen, noch ebenso geweitet und ebenso unbeweglich, und darin tauchte etwas in der Tat Schreckliches auf und verschwand wieder – ich begriff in diesem Moment, dass in dem Verfasser von »I’ll Come Tomorrow« trotz allem etwas fast Vergessenes, fast Gestorbenes zurückgeblieben war, das nämlich, was Wosnessenski seinerzeit gut gekannt und was ich damals gestoppt

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