Phantom
und brachte Patterson damit zur Weißglut.
Am Donnerstag, dem 6. Januar, rief Patterson mich an und bat mich zu einem Gespräch in sein Büro. »Ich bin sicher, wir können die Geschichte ohne großen Aufwand aus der Welt schaffen«, sagte er liebenswürdig. »Ich muß Ihnen nur ein paar Fragen stellen.«
Das sollte heißen, wenn ich kooperierte, könnte ich meinen Hals aus der Schlinge ziehen. Ich wunderte mich, daß Patterson annahm, ich würde diese abgedroschene Taktik nicht durchschauen: Wenn der Staatsanwalt einen Verdächtigen zu einem Gespräch bittet, dann ist er auf einem Angelausflug, bei dem er entschlossen ist, keinen einmal gefangenen Fisch wieder vom Haken zu lassen. Dasselbe gilt für die Polizei. Nach alter Grueman-Manier sagte ich nein zu Mr. Patterson und bekam am nächsten Tag eine Vorladung, die mich verpflichtete, am 20. Januar vor der Sonderjury zu erscheinen. Der Vorladung folgte eine gerichtliche Aufforderung, meine Bankunterlagen vorzulegen. Grueman berief sich zunächst auf das Fifth Amendment, das einen Verdächtigen davor bewahrt, sich selbst belasten zu müssen, und stellte den Antrag, die Aufforderung zurückzuziehen. Eine Woche später gab er klein bei, nachdem man angedroht hatte, mich wegen Mißachtung des Gerichts zu belangen. Zum gleichen Zeitpunkt setzte Gouverneur Norring meinen Stellvertreter Fielding als amtierenden Chief Medical Examiner für den Staat Virginia ein.
»Da ist schon wieder ein Fernsehübertragungswagen«, rief Lucy, die im Wohnzimmer aus dem Fenster schaute. »Ich habe ihn gerade vorbeifahren sehen.«
»Komm essen!« rief ich zurück. »Deine Suppe wird kalt.«
Schweigen. Dann: »Tante Kay!« Lucys Stimme klang aufgeregt.
»Was ist?«
»Schau mal, wer da kommt!«
Durch das Fenster über dem Spülbecken sah ich Marino aus seinem weißen Ford LTD steigen. Er zog die Hose hoch, rückte die Krawatte zurecht und blickte prüfend nach rechts und links. Während er aufs Haus zuging, wurde ich plötzlich von Rührung überwältigt.
»Ich weiß nicht, ob ich mich darüber freuen soll, Sie zu sehen«, sagte ich, als ich ihm die Tür aufmachte.
»He, nur keine Aufregung, Doc! Ich bin nicht hier, um Sie zu verhaften.«
»Bitte, kommen Sie rein!«
»Hi, Pete«, begrüßte Lucy ihn fröhlich.
»Müßtest du nicht längst wieder die Schulbank drücken?«
»Nein.«
»Was? Ihr in Südamerika habt wohl den ganzen Januar frei?«
»So ist es.« Meine Nichte nickte vergnügt. »Wegen des Winterwetters: Wenn die Temperaturen unter zwanzig Grad sinken, bekommen wir Kälteferien.«
Marino lächelte. Er sah elend aus. Ein paar Minuten später brannte ein Feuer im Wohnzimmerkamin. Lucy war zum Einkaufen gefahren.
»Wie ist es Ihnen ergangen?« fragte ich.
»Soll ich draußen rauchen?«
Ich holte ihm einen Aschenbecher. »Marino, Sie haben Tränensäcke so groß wie Rettungsinseln, Ihr Gesicht ist puterrot, und es ist nicht so warm hier, daß Ihr Schwitzen damit zu erklären wäre.«
»Ich merke schon, Sie haben mich vermißt.« Er zog ein verknittertes Taschentuch heraus und fuhr sich damit über die Stirn. Dann zündete er sich eine Zigarette an und starrte ins Feuer. »Patterson wird alle Register ziehen, Doc. Er will Sie vernichten.«
»Soll er es doch versuchen!«
»Das wird er tun – und Sie sollten sich lieber darauf vorbereiten.«
»Er hat nichts gegen mich in der Hand, Marino.«
»Vergessen Sie die Fingerabdrücke auf dem Kuvert aus Susans Kommode nicht!«
»Die kann ich erklären.«
»Aber Sie können Ihre Erklärung nicht beweisen. Und er hat noch eine Trumpfkarte. Ich dürfte Ihnen das nicht sagen, aber ich tue es trotzdem.«
»Was für eine Trumpfkarte?«
»Erinnern Sie sich an Tom Lucero?«
»Natürlich.«
»Na ja, der Bursche kann sehr charmant sein, und er ist ein verdammt guter Polizist. Er ist zur Signet Bank gegangen und hat eins von den Schaltermädels so lange bequatscht bis sie eine Information über Sie rausrückte. Sie sagte ihm, Sie hätten kurz vor Thanksgiving Wertpapiere für zehntausend Dollar verkauft.«
Ich sah ihn schweigend an.
»Sie können Lucero keinen Vorwurf machen, er tut nur seine Arbeit. Aber nun weiß Patterson, wo er einhaken kann. Er wird Sie ungespitzt in den Boden rammen, wenn Sie vor der Sonderjury erscheinen.«
Ich sagte noch immer nichts.
»Doc!« Er beugte sich vor und schaute mir in die Augen. »Meinen Sie nicht, Sie sollten sich dazu äußern?«
»Nein.«
Er stand auf, trat zum Kamin und zog den
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