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Phantom

Phantom

Titel: Phantom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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weiterhelfen. Hat sie nicht im November zwei Wochen bei ihm verbracht?«
    »Ja.« Marino schaute mich unternehmungslustig an. »Das hat sie.«
    Willie Travers hatte am Telefon eine angenehme, lebhafte Stimme, aber er wurde sehr einsilbig, als ich ihm Fragen stellen wollte.
    »Mr. Travers, was kann ich tun, damit Sie mir vertrauen?« f ragte ich schließlich, der Verzweiflung nahe.
    »Kommen Sie her!«
    »Fort Myers Beach Hegt nicht gerade um die Ecke, und ich kann im Moment sehr schlecht weg hier.«
    »Ich muß Sie sehen!«
    »Weshalb?«
    »Ich bin eben so. Wenn ich Sie sehe, kann ich erkennen, ob Sie okay sind.«
    »Wenn ich zu Ihnen komme, werden Sie mir helfen?«
    »Das kommt darauf an, was für einen Eindruck Sie auf mich machen.«
    Ich bestellte zwei Tickets für die Sechs-Uhr-fünfzig-Maschine: Lucy und ich würden am nächsten Morgen nach Miami fliegen. Ich wollte sie bei Dorothy abliefern und nach Fort Myers Beach fahren, obwohl ich schon jetzt den Kopf über mich schüttelte: Wer sagte, daß sich Jennifer Deightons Exmann nicht als Windei erwies?
    Als ich am Samstag früh um vier aufstand und Lucy wecken ging, hatte es aufgehört zu schneien. Für einen Moment lauschte ich dem ruhigem Atem meiner Nichte, dann legte ich ihr leicht die Hand auf die Schulter und flüsterte in der Dunkelheit ihren Namen. Sie streckte sich und setzte sich auf. Im Flugzeug schlief sie bis Charlotte und war dann den Rest des Fluges übler Laune.
    »Ich würde mir lieber ein Taxi nehmen«, sagte sie und starrte aus dem Fenster.
    »Du kannst dir kein Taxi nehmen, Lucy, deine Mutter und ihr Freund holen dich ab.«
    »Genau deswegen würde ich lieber ein Taxis nehmen. Von mir aus könnten sie auf mich warten, bis sie schwarz werden. Warum kann ich nicht mit dir kommen?«
    »Du mußt nach Hause, und ich muß auf dem schnellsten Weg nach Fort Myers Beach. Morgen früh fliege ich von dor t nach Richmond zurück. Glaub mir, es wäre nicht lustig fü r dich.«
    »Mit meiner Mutter und ihrem neuesten Schwachkopf wird es auch nicht lustig.«
    »Du weißt doch gar nicht, ob er ein Schwachkopf ist. Du hast ihn nie gesehen. Wieso gibst du ihm keine Chance?«
    »Ich wünschte, Mutter würde AIDS kriegen.«
    »Um Himmels willen, Lucy, wie kannst du nur so etwas sagen!«
    »Sie hätte es verdient. Ich begreife nicht, weshalb sie mit jedem ins Bett steigt, der sie ins Kino oder zum Essen einlädt. Ich begreife nicht, wie sie deine Schwester sein kann.«
    »Sprich leiser!« bat ich sie.
    »Wenn sie mich wirklich vermißt hätte, würde sie mich allein abholen und nicht diesen Kerl mit anschleppen.«
    »Das muß nicht stimmen«, widersprach ich. »Wenn du dich eines Tages verliebst, wirst du das verstehen.«
    »Wie kommst du darauf, daß ich noch nie verliebt war?« Sie funkelte mich wütend an.
    »Wenn du schon mal verliebt gewesen wärst, wüßtest du, daß die Liebe sowohl das Beste als auch das Schlechteste in uns zutage fördert. Einmal sind wir großzügig und rücksichtsvoll bis zur Selbstaufgabe, dann wieder egozentrisch und streitsüchtig. Unser Leben verläuft zwischen Extremen.«
    »Ich wünschte, Mutter würde endlich in die Wechseljahre kommen.«
    Ich unterdrückte ein Lächeln. »Da muß ich dich enttäuschen, Schätzchen: Die Menopause macht eine Frau nicht zum Neutrum.«
    Als ich am frühen Nachmittag mit heruntergeklappter Sonnenblende und voll aufgedrehter Klimaanlage den Tamiami Trail entlangfuhr, stopfte ich die Löcher, die mein Schuldbewußtsein in mein Gewissen gefressen hatte. Wann immer ich mit meiner Schwester oder meiner Mutter zu tun hatte, war ich irritiert und verärgert – und wann immer ich mich weigerte, mich mit ihnen einzulassen, machte ich es wie in meiner Kindheit, als ich die Kunst erlernte, wegzulaufen, ohne das Haus zu verlassen. Nach dem Tod meines Vaters kapselte ich mich ab und war ebenso schwer zu fassen wie eine Dampfschwade. Als Folge davon beschuldigten meine Mutter und meine Schwester mich der Gleichgültigkeit, und ich wuchs mit der beschämenden Gewißheit auf, daß sie recht damit hatten.
    Ich kam am späten Nachmittag in Fort Myers Beach an. Das Meer verschmolz am Horizont in strahlendem Blau mit dem gleichfarbigen Himmel, die Stämme, über denen die leuchtend grünen Palmwedel in der sanften Brise raschelten, sahen aus wie stämmige Straußenbeine. Der Anstrich des PinkShell-Ferienhotels war zum Namen passend ausgewählt worden. Das Hauptgebäude stand mit dem Rücken zur Estero Bay, die Balkone

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