Phantom
richtete den Strahl meiner Taschenlampe darauf: Ein winziges grünes Metallstück steckte im Fleisch. Weihnachtsschmuck, dachte ich. Ich nahm mir jeden Finger einzeln vor und fand mehrere goldfarbene Fasern. Mit der Pinzette sammelte ich meine Funde und steckte sie in einen Plastikbeutel. Nachdem ich braune Papiertüten über die Hände der Toten gestülpt und mit Gummiringen an den Gelenken befestigt hatte, ging ich zur anderen Seite des Wagens und öffnete die Beifahrertür. Mit großer Mühe schaffte ich es, die Beine unter dem Lenkrad herauszuziehen. An den Sohlen der dicken Socken hingen Fasern, die so wie die unter ihren Fingernägeln aussahen. Kein Schmutz, keine Erde, kein Gras.
»Was Interessantes gefunden?« fragte Marino.
»Waren hier irgendwo Pantoffeln oder andere Schuhe?« erkundigte ich mich.
»Nein«, antwortete Lucero.
»Dann gibt es eine dritte Merkwürdigkeit: Ihre Socken sind sauber.«
»Scheiße!« fluchte Marino.
»Wir müssen sie in die Stadt bringen.« Ich trat zurück.
»Ich gebe den Sanitätern Bescheid«, sagte Lucero.
Ich wandte mich an Marino. »Ich möchte mich im Haus umsehen.«
Er hatte seine Handschuhe ausgezogen und hauchte seine Hände an. »Das wollte ich Ihnen sowieso vorschlagen.«
Bevor ich die Garage verließ, schaute ich mich noch ein wenig um. Es gab nicht viel zu sehen, nur die üblichen Gartengeräte und Dinge, die nirgendwo anders Platz gefunden hatten: Körbe aus Peddigrohr, verstaubte Farbdosen und ein rostiger Holzkohlengrill, der aussah, als sei er seit Jahren nicht benutzt worden. Schlampig aufgerollt lag wie eine kopflose grüne Schlange der Schlauch in einer Ecke, von dem offensichtlich das Stück stammte, das vom Auspuff ins Wageninnere geführt worden war. Ich ging in die Hocke und nahm das lose Ende in Augenschein, ohne es zu berühren. Es sah aus, als sei das fragliche Stück mit einem Hieb, etwa dem einer Axt, abgetrennt worden. Ich richtete mich wieder auf und musterte die Werkzeuge, die an einem Brett hingen: Eine Axt war darunter, auch ein schwerer Hammer, aber beide rostig und dick mit Spinnweben überzogen.
Die Sanitäter kamen mit der Bahre und dem Leichensack, in den sie Jennifer Deighton hineinpackten, ehe sie sie durch den immer noch dicht fallenden Schnee zur Ambulanz trugen. Ich ging mit Lucero zum Haus hinüber. Wir betraten das im Ranchstil gebaute Backsteingebäude durch die Hintertür, die direkt in die Küche führte. Sie sah nagelneu aus: schwarze Armaturen, weiße Schränke und Arbeitsflächen, orientalische blaugrundige Blumentapete in Pastelltönen. Wir hörten Stimmen, gingen einen schmalen Flur mit Parkettboden entlang und blieben in der offenen Tür eines Zimmers stehen, in dem Marino und ein Beamter der Spurensicherung Kommodenschubladen durchsuchten. Voller Staunen musterte ich den Raum: Wände, Vorhänge, Teppich, Bettwäsche und Korbmöbel – alles weiß. Auf dem zerwühlten Bett, nicht weit von den beiden an das Kopfteil gelehnten Kissen, beschwerte eine Kristallpyramide ein leeres Blatt Schreibmaschinenpapier. Auch auf der Kommode und den Beistelltischen standen Kristalle, und kleinere hingen an den Fensterrahmen. Ich konnte mir vorstellen, wie sich, wenn die Sonne hereinschien, Regenbogen über die Wände spannten und bunte Lichter über die Möbel tanzten.
»Seltsam, was?« fragte Lucero.
Ich nickte.
Er trat zu dem Anrufbeantworter auf dem Tisch neben dem Bett. Das Lämpchen blinkte, dunkelrot glühte die Zahl achtunddreißig.
»Achtunddreißig Anrufe seit gestern abend um acht. Ich habe in ein paar reingehört. Die Lady machte offenbar Horoskope. Da wollten Leute wissen, ob sie einen guten Tag vor sich hätten, in der Lotterie gewinnen oder nach Weihnachten ihre Kreditkarteneinkäufe bezahlen könnten.«
Marino öffnete den Deckel des Gerätes und hob die Kassette mit Hilfe seines Taschenmessers heraus. Er steckte sie in einen Plastikbeutel und verschloß ihn sorgfältig. Mich interessierten die anderen Dinge auf dem Nachttisch, und ich sah sie mir genauer an. Neben Notizblock und Kugelschreiber stand ein Glas, in dem sich etwa zwei Zentimeter hoch eine klare Flüssigkeit befand. Ich beugte mich hinunter und roch daran: Wasser. Daneben lagen zwei Taschenbücher: »Paris Trout« von Pete Dexter und »Seth Speaks« von Jane Roberts. Sonst sah ich keine Bücher im Schlafraum.
»Ich würde mir die gerne ansehen«, sagte ich zu Marino. »Sie könnten mir Aufschluß über Jennifer Deightons Persönlichkeit
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