Pharmakon
unkontrollierbare Blutungen kompliziert. Selbst wenn wir es geschafft hätten, sie wiederzubeatmen, fürchte ich, hätte sie ihre Nierenfunktion verloren.«
Jennifer nickte, auch wenn sie das alles nicht im geringsten verstanden hatte. Es war unglaublich.
»Kennen Sie ihre Familie?« fragte Dr. Stephenson.
»Nein«, sagte Jennifer.
»Das ist schade«, sagte er. »Cheryl war nicht bereit, uns die Adresse oder Telefonnummer ihrer Eltern zu geben. Das wird es schwierig machen, sie aufzuspüren.«
Marlene und Gale tauchten vor Jennifer auf. Beide hatten geweint. Jennifer war verblüfft. Sie hatte nie gehört, daß Krankenschwestern heulten.
»Uns ist das allen sehr nahegegangen«, sagte Dr. Stephenson. »Das ist das Problem, wenn man Medizin praktiziert. Man tut sein Bestes, aber manchmal ist es einfach nicht gut genug. Ein junges, lebenslustiges Mädchen wie Cheryl zu verlieren, ist eine Tragödie. Hier in der Julian-Klinik nehmen wir diese Art Niederlage sehr persönlich.«
Fünfzehn Minuten später verließ Jennifer die Klinik, durch die gleiche Tür, durch die sie sie nur Stunden zuvor mit Cheryl betreten hatte. Sie konnte die Tatsache, daß ihre Freundin tot sei, absolut noch nicht begreifen. Sie wandte sich um und blickte die spiegelnde Fassade der Julian-Klinik hinauf. Trotz dem, was geschehen war, hatte sie immer noch ein gutes Gefühl in Beziehung auf dieses Krankenhaus. Es war ein Ort, wo Menschen zählten.
*
Als Adam auf der neunten Etage nach dem Mittagessen McGuire aus dem Aufzug folgte, hielt er inne. Wiederum war er sowohl beeindruckt wie auch abgestoßen von dem teuren Mobiliar. Die Einrichtung war so verschwenderisch, daß sie McGuires Etage vergleichsweise utilitaristisch erscheinen ließ. Adam beschleunigte seine Schritte und holte McGuire ein, gerade als er das spektakulärste Büro betrat, das Adam je gesehen hatte. Eine ganze Wand bestand aus Glas, hinter der sich die Landschaft Jerseys in ihrer winterlichen Majestät darbot.
»Mögen Sie den Ausblick?« fragte eine Stimme. Adam drehte sich um. »Ich bin Bill Shelly«, sagte der Mann und ging um seinen Schreibtisch herum. »Freue mich, daß Sie kommen und uns besuchen konnten.«
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, sagte Adam, der von Mr. Shellys Jugendlichkeit überrascht war. Adam hatte als leitenden Angestellten jemanden zumindest fünfzig Jahre älter erwartet. Mr. Shelly schien nicht mehr als dreißig zu sein. Er war von Adams Größe mit kurz geschnittenem blonden Haar, in das er einen rasiermesserscharfen Scheitel gekämmt hatte. Seine Augen waren von einem verblüffend hellen Blau. Er hatte ein weißes Hemd an, dessen Ärmel heraufgerollt waren, eine rosa Krawatte und eine lohfarbene Hose.
Mr. Shelly wies zum Fenster hinaus. »Diese Gebäude dort in der Ferne sind Newark. Selbst Newark sieht aus der Entfernung gut aus.« Hinter Adam gluckste McGuire vergnügt.
Als er aus dem Fenster blickte, erkannte Adam, daß er sogar den diesseitigen Teil Manhattans sehen konnte. Es waren viele Wolken am Himmel, und Sonnenstrahlen drangen zwischen ihnen durch und beleuchteten einige der Wolkenkratzer New Yorks, während andere in blaue Schatten getaucht blieben.
»Wie wäre es mit einer Erfrischung«, sagte Mr. Shelly, indem er zu einem Kaffeetisch herüberging, das ein Silberservice trug. »Wir haben Kaffee, Tee und so ziemlich alles andere.«
Die drei Männer setzten sich. McGuire und Adam baten um Kaffee. Bill Shelly schenkte sich selbst eine Tasse Tee ein.
»McGuire hat mir schon ein wenig von Ihnen erzählt«, sagte Shelly, der Adam einschätzend betrachtete, während er redete.
Adam begann zu sprechen und wiederholte im wesentlichen das, was er auch schon McGuire gesagt hatte. Die beiden Arolen-Angestellten tauschten Blicke aus und nickten unmerklich. Bill hatte keinen Zweifel, daß McGuires Einschätzung zutreffend war. Das Ergebnis des Persönlichkeitsprofils, das Bill während des Essens hatte aufstellen lassen, bestätigte Bills Eindruck, Adam stelle eine besonders gute Wahl für ihr Manager-Trainings-Programm dar. Kandidaten zu finden, war eine absolute Priorität, denn die Gesellschaft expandierte rapide. Bill hatte nur einen einzigen Vorbehalt, nämlich der Bursche könne sein Medizinstudium wieder aufnehmen, aber auch dieser Punkt könnte sicher geklärt werden.
Als Adam fertig war, stellte Bill seine Teetasse ab und sagte: »Wir haben den Eindruck, daß Ihre Einstellung zu den medizinischen Berufen unserer
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