Pharmakon
Notwendigkeit einer Antwort durch Dr. Heinrich Nachmans Eintreten enthoben.
Der Neurochirurg war außergewöhnlich groß und dünn. Er hatte schütteres dunkles Haar und Augen, denen sehr wenig zu entgehen schien. Er begrüßte Adam mit einem breiten Lächeln und starrte ihn mehrere Minuten intensiv an. Adam wollte gerade beginnen, sich unter dem unentwegten Blick zu winden, als der Doktor sagte: »Wir werden diesen jungen Mann in Puerto Rico sehen?«
»Unglücklicherweise noch nicht«, sagte Shelly. »Adam hat das Gefühl, er würde lieber noch ein bißchen vom Geschäft lernen, bevor er sich zu der Managerausbildung verpflichtet.«
»Ich verstehe«, sagte Dr. Nachman. »Von dem, was Bill mir gesagt hat, würden sie ein wirklicher Aktivposten für unsere Organisation sein. Unsere Forschung macht schneller Fortschritte, als wir erwartet hatten. Es wäre eine fantastische Gelegenheit für Sie. Sie machen sich da keine Vorstellung.«
»Welches Gebiet umfaßt Ihre Forschung?« fragte Adam.
»Psychotropische Medikamente und Fötologie«, sagte Dr. Nachman.
Es trat eine Pause ein. Adam sah von einem Mann zum anderen. Sie starrten ihn beide an. »Das ist sehr interessant«, meinte er unsicher.
»Jedenfalls«, sagte Dr. Nachman, »willkommen bei Arolen-Pharmaceuticals.« Der Forscher streckte seine Hand aus, und Adam schüttelte sie.
*
Auf der Busfahrt zurück zur Stadt fühlte Adam, wie sich einige Zweifel in ihm regten. Er erinnerte sich an Dr. Markowitz’ Bemerkung über sein Desertieren zum Feind. Die Vorstellung, eine Gesellschaft könne so viel Geld verdienen, indem sie Medikamente an kranke, hilfsbedürftige Leute verkaufte, stand konträr zu seinen Idealen. Es war ihm klar, daß Ärzte im grundsätzlichen das gleiche taten. Aber da war noch etwas anderes, was Adam in bezug auf Arolen Sorgen machte, etwas, das er noch nicht genau festmachen konnte. Vielleicht hatte es damit zu tun, daß sie einen »vollständigen Bericht« über ihn hatten anfertigen lassen.
Immerhin war er keine lebenslange Verpflichtung eingegangen, und im Augenblick brauchte er ja das Geld. Wenn er und Jennifer vorsichtig sparen würden, gab es keinen Grund, weshalb er nicht in anderthalb Jahren wieder mit dem Medizinstudium anfangen sollte.
Als der Bus in den Lincoln-Tunnel hineinfuhr, zog Adam seine abgenutzte Brieftasche hervor und warf einen verstohlenen Blick hinein. Und da waren sie: zehn neue Hundertdollarnoten, die sich an ein halbes Dutzend ausgefranster Eindollarscheine schmiegten. Adam hatte noch nie so viel Bargeld gesehen. Bill hatte darauf bestanden, Adam einen Vorschuß zu geben, und darauf hingewiesen, er brauchte vielleicht ein paar neue Kleidungsstücke. Er würde ja keinen weißen Kittel bei der Arbeit tragen.
Aber tausend Dollar! Adam konnte es immer noch nicht glauben.
*
Obgleich er mit zwei Bloomingdales-Taschen zu kämpfen hatte, die Hemden und ein Jackett für ihn selbst und ein in Geschenkpapier eingepacktes neues Kleid für Jennifer enthielten, nahm Adam die U-Bahn von der Lexington Avenue zur Vierzehnten Straße und ging von dort zu Fuß zu ihrer Wohnung.
Sobald er die Tür geöffnet hatte, hörte er Jennifer am Telefon, wie sie mit ihrer Mutter sprach. Er warf einen Blick in die Küche und entdeckte keine Vorbereitungen für ein Abendessen. Ja, er bemerkte sogar gleichfalls keinerlei Anzeichen von Lebensmitteln. Nachdem er sich selbst versprochen hatte, er würde an diesem Abend nicht wieder böse sein, ging er in das Schlafzimmer, in dem sich Jennifer gerade am Telefon verabschiedete. Sie legte den Hörer auf und wandte sich zu ihm um.
Sie sah entsetzlich aus. Das Make-up auf ihren Wangen war streifig, und ihre Augen waren vom Weinen rot. Ihr Haar war halb in einen Knoten gefaßt, halb hing es schlaff auf ihre Schultern herunter.
»Sag es mir nicht«, meinte Adam. »Deine Eltern ziehen nach Bangladesh.«
Große Tränen traten in ihre Augen, und Adam wünschte, er hätte seinen großen Mund gehalten. Er setzte sich neben sie und legte seinen Arm um sie.
»Ich hatte früher versucht, dich anzurufen«, sagte Adam. »Es war besetzt.«
Jennifer ließ ihre Hände in den Schoß fallen. »Warum wolltest du anrufen?«
»Nur um dir zu sagen, ich würde ein bißchen später kommen. Ich habe eine kleine Überraschung für dich. Interessiert?«
Jennifer nickte. Adam ging hinaus und holte das kleine Päckchen. Sie öffnete es langsam. Schließlich schlug sie, nachdem sie vorsichtig das Papier
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