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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Friedmann teilnehmen sollte. Ich war so vorsichtig, mich in eine dunkle Ecke des Raumes zu setzen, wo ich nicht richtig erkannt werden konnte. Ich weiß noch, dass Litzi Friedmann den jungen Engländer als engagierten Marxisten mit schneller Auffassungsgabe beschrieb, und außerdem als jemanden, der Dinge geheim halten könnte, sollte sich die Moskauer Zentrale entschließen, ihn als Agenten anzuwerben. Sonny teilte das Bett mit Litzi Friedmann, wo er, wie man annehmen und in Litzis Interesse hoffen darf, als Liebhaber ebenso leidenschaftlich war wie als Antifaschist. Als Dollfuß die österreichische sozialistische Opposition zerschlug, heiratete Sonny die Genossin im Wiener Rathaus, um ihr einen britischen Pass zu verschaffen, und floh mit ihr ins sichere London. In ihrer unendlichen Weisheit instruierte mich die Zentrale daraufhin, den Kontakt zu Litzi Friedmann zu suchen und sie erneut hinsichtlich einer möglichen Rekrutierung des britischen Gentlemans zu befragen, der mittlerweile ihr rechtmäßig angetrauter Ehemann war.
    Das tat ich. Dreimal habe ich mich mit ihr in London getroffen. Beim ersten Mal musterte sie mich mit unverhohlener Neugier. »Kennen wir uns nicht irgendwoher?«, fragte sie.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Dieser dreieckige Schnauzer kommt mir bekannt vor. Der Mann, der an einem meiner Treffen mit Arnold in Wien teilgenommen hat, war groß und schlank wie Sie, und er trug genau so einen Schnauzbart auf der Oberlippe. Das waren Sie, richtig?«
    »Ich war noch nie in Wien«, antwortete ich.
    Sie lachte. »Natürlich waren Sie das« sagte sie und winkte ab. »Aber egal.«
    Das Einzige, was sich an der Genossin Friedmann seit unserem Treffen in Wien verändert hatte, war die Haarfarbe. In Wien war ihr Haar rostrot gewesen, jetzt schimmerte es perlgrau. Litzi Friedmann war eine launische junge Frau, die zu jedem unserer Treffen mit einer anderen Haarfarbe erschien. Sie gestand mir, dass die Engländer mit ihrer Betonung der Klassenunterschiede sie zu Tode langweilten. Ich schloss daraus auf ihre Begierde, der Internationale zu dienen, sah aber auch ihre Sprunghaftigkeit (sie hatte kein Problem damit, das wenige Geld, das ihr Mann verdiente, nur für Schuhe auszugeben) und wie wenig ausgereift, soweit ich das beurteilen kann, ihre marxistischen Überzeugungen waren. Oh, sie kannte die Grundlagen genau: den dialektischen Materialismus, den Klassenkampf als Motor des sozialen Wandels, die Geschichte als Wissenschaft basierend auf These, Antithese und Synthese. Aber sie war zu keiner tiefer gehenden Analyse der politischen Ereignisse fähig. Mich davon zu überzeugen, wie leidenschaftlich sie die Sowjetunion unterstützte, schien ihr Hauptanliegen zu sein. Wie ich in meinem Bericht für die Moskauer Zentrale nach jedem unserer Treffen schrieb, traute ich ihr keinen potenziell wichtigen Beitrag zu unserer Sache zu. Ihr Ehemann Harold Adrian Philby hingegen war (um den englischen Ausdruck zu gebrauchen)
a different kettle of fish.
    Friedmanns lobende Äußerungen über Philby klangen mir noch in den Ohren, als mir die Nachricht vom Zentralkomitee der Britischen Kommunistischen Partei auf den Schreibtisch flatterte, dass ebendieser Philby den Antrag gestellt habe, in die Partei aufgenommen zu werden. Er war für eine langfristige Unterwanderung wie maßgeschneidert: jung, begeistert, idealistisch, bilderstürmerisch und angewidert von dem Mist, den die Großmächte nach dem Krieg in Europa angerichtet hatten, dazu in Cambridge ausgebildet, sozialistisch orientiert und der Oberklasse angehörend, mit (was ich zu schätzen lernte) gerade der richtigen Menge Schuldgefühl, weil er keinen ehrlichen Arbeiterklassendreck unter den Nägeln hatte. Er war einer jener verhätschelten Aristokraten, die beim Apfelessen das Kerngehäuse nicht mitaßen, sondern wegwarfen. Zudem war er der Sohn des exzentrischen Engländers Harry St John Philby, der zum Islam konvertiert war und in Arabien lebte, wo er als Vertrauter des saudischen Monarchen ibn Saud galt. St John wurden die üblichen Old-school-Verbindungen zur Fleet Street nachgesagt, und vielleicht auch zum Caxton House, dem Nervenzentrum des Auslandsgeheimdienstes Seiner Majestät, auch bekannt als MI6. Was Philby junior betraf, so brachte er noch einen Bonus mit: Wie viele andere Studenten seiner Zeit hatte er zur Sozialistischen Gesellschaft der Universität gehört, an den Treffen im Bierdunst von Matthew’s Café teilgenommen und bis in die frühen

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