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Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition)

Titel: Philby: Porträt des Spions als junger Mann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Battersea-Kraftwerk in der Kirtling Street. Es war Mittagszeit. Männer mit Melonen auf den Köpfen schlenderten auf dem Bürgersteig auf und ab. An der nächsten Ecke stand ein Junge mit einer Kniebundhose und verkaufte Zeitungen, deren Schlagzeilen er mit hoher, schriller Stimme ausrief: »Edward will auf den Thron verzichten, um geschiedene Amerikanerin Simpson zu heiraten. Dem Völkerbund trotzend festigt Hitler seinen Zugriff auf das Rheinland.« Auch ich trug eine Melone und balancierte meinen Schirm auf den Knien. Im Übrigen hat sich mir das Bild, wie Kim Erdnüsse schälte und die Tauben in der Gosse damit fütterte, unauslöschlich eingebrannt. Er konzentrierte sich lange auf die Vögel, bis er schließlich sagte: »Wie, glauben Sie, lernen die, nur die Nüsse und nicht die Schalen zu fressen.«
    »Durch schmerzliche Erfahrung.«
    »Was für ein Zufall. So heißt meine Alma mater. Die Schule der sch-sch-schmerzlichen Erfahrung.« Er nickte, als sei er zu einer Entscheidung gekommen. »Natürlich muss ich vorher mit Litzi sprechen.«
    »Ich habe schon mit ihr gesprochen.«
    Er sah mich überrascht an. »Wann? Sie hat mir nicht ein Wort davon gesagt.«
    »Sie steht immer noch im Dienst der Zentrale. Ich habe sie entsprechend instruiert. Wir haben uns letzte Woche im Tearoom des Brook Street Hotel getroffen, wo ich ihr erklärt habe, was mir für Sie vorschwebt. Litzi ist eine gute Soldatin und eine gute Kommunistin. Es gibt eine Zeile in einem englischen Gedicht, die sie perfekt beschreibt: ›Und wer nur steht und wartet, dienet auch‹. Bei unserem Gespräch sagte sie, als Sie ihr erklärt hätten, Sie wollten sich anwerben lassen, habe sie dieses Ende bereits kommen sehen. Da sei ihr klar geworden, dass Sie beide sich letztendlich trennen müssten. Sie weiß, was für eine Belastung sie für Sie ist, wie sie Ihrem Erfolg im Wege steht und dass es so nicht weitergeht, wenn Sie für die antifaschistische Internationale von Nutzen sein wollen. Die Menschen verstehen, dass Sie eine Jüdin geheiratet haben, um sie vor der Verfolgung zu bewahren, und sie werden auch verstehen, dass Sie sie wieder verlassen, jetzt, da sie sicher in England ist.«
    »Ich muss das überdenken«, sagte er.
    »Gewiss, tun Sie das.«
    »Habe ich eine Wahl?«
    Ich ergriff seinen Arm. »Sie haben eine Wahl. Sie können einen großen Sprung nach vorn machen und einen wichtigen Beitrag leisten, oder Sie treten der Britischen Kommunistischen Partei bei und …«, ich deutete auf den Zeitungsjungen an der Ecke, »rufen den ungebildeten Bergleuten die Schlagzeilen des
Daily Worker
zu.«
    Als Sonny elf Tage später zu unserem nächsten Treffen kam, trug er ein englisch-spanisches Wörterbuch bei sich. Er blätterte zu einer Seite, die er mit einem Eselsohr markiert hatte, und las mir vor, was er dort auf den Rand geschrieben hatte:
»Voy a España para informarme sobre una guerra.«
    »Muchas gracias«,
antwortete ich.
     
    Anfang 1937 hielt ich Sonny für hinlänglich ausgebildet, um nach Spanien zu fahren. Bei unserem letzten Treffen auf der Bank in Regent’s Park, wo wir uns kennengelernt hatten, gab ich ihm ein dünnes Blatt Reispapier. In einer Spalte ganz links hatte ich die Dinge aufgelistet, über die wir Informationen benötigten: Panzer, Lastwagen, Reparatureinrichtungen, Flughäfen, Bomber, Kampfflugzeuge, Artillerie, Mörser, Maschinengewehre, Bataillone, Regimenter, Divisionen, deutsche und italienische Berater und Piloten. Auf der rechten Seite hatte ich unverfängliche Worte aufgelistet: »weil«, »schließlich«, »Wetter«, »unglaublich«, »wohlschmeckend«, »Sonnenuntergang«, »Mittagessen« und so weiter. Ich instruierte ihn, einmal wöchentlich einen Liebesbrief an Mlle Dupont in der Rue de Grenelle 79 in Paris zu schicken. Jedes fünfte Wort in dem Brief sollte ein Codewort sein. Wenn er berichten wolle, dass er bei einer Werkstatt achtzehn Panzer gesehen habe, müsse das fünfte Wort eine »18« sein, das zehnte »weil« und das fünfzehnte »Wetter«. Im Übrigen werde er von Zeit zu Zeit in eine der französischen Städte direkt jenseits der Grenze gerufen werden, von wo aus ausländische Korrespondenten ihre Berichte schickten, um der Zensur zu entgehen. Dort werde er seinen Führungsoffizier treffen, Alexander Orlow, Deckname »Der Schwede«. Orlow werde im örtlichen Bahnhofscafé sitzen, wenn die Kirchenglocken zwölf schlügen. Er werde einen Strohhut tragen, dessen Krempe die Augen beschattet, und eine neue

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