Philippas verkehrte Welt
Ich wollte auf gar keinen Fall von hier weg. »Du weiÃt doch ohnehin schon alles«, gab ich murrend zurück.
»Irrtum«, widersprach meine Mutter. »Als euer Vater letzte Nacht nach Hause kam, habe ich bereits geschlafen. Und heute Morgen hatten wir noch keine Zeit, darüber zu sprechen.« Ich bemerkte ein aufgeregtes Blitzen in ihren Augen, als sie uns der Reihe nach ansah. »Ich bin also nicht weniger gespannt als ihr.«
»Okay«, sagte Krister und stupste meinen Vater kumpelhaft in die Seite. »Dann leg mal los.«
»Also gut«, fing Papa noch einmal von vorne an. »Vor ungefähr drei Wochen hatte ich eine Tour vom Flughafen nach Kaiserswerth. Das ist eine ziemlich wohlhabende Gegend, und die Dame, die ich fuhr, wohnt in einer ganz besonders groÃen und schönen Villa mit einem riesigen Anwesen drum herum.«
»Ist das die Frau, bei der du arbeiten sollst?«, wollte Josefine wissen.
Mein Vater nickte. »Sie heiÃt Margarethe von Helsing, ist in etwa so alt wie Mama und ich und hat eine knapp zwölfjährige Tochter.«
»Hat sie auch einen Mann?«, bohrte Josi weiter. Der Kuschelmuschelhase hatte mittlerweile von ihrem Kakao gekostet und war jetzt total braun um die Nase herum.
Wieder nickte Papa. »Ja, einen Mann hat sie auch. Herr von Helsing ist jedoch geschäftlich viel unterwegs und daher leider nur sehr selten zu Hause. Seine Firma hat eine Niederlassung in Amerika und er reist um die ganze Welt.«
Krister stöhnte auf. »Das ist gut. Dann musst du das ja nicht machen.«
Jetzt lachte mein Vater so herzlich, dass seine grauen Augen Funken sprühten. »Da hast du absolut recht, mein Schatz, das muss ich nicht«, erwiderte er. »Im Gegenteil, ich soll Tag und Nacht auf dem Anwesen sein, mich um einen bestimmten Teil des Hauses und um die Autos kümmern. AuÃerdem wäre ich der Chauffeur von Frau von Helsing und ihrer Tochter und müsste darüber hinaus auch noch andere Fahrten erledigen.«
»Was für andere Fahrten?«, hakte mein Bruder sofort nach.
Klar, er interessierte sich für diesen ganzen Technikkram, in meinem Kopf war jedoch etwas ganz anderes und für meine Begriffe auch viel Entscheidenderes hängen geblieben: »Sagtest du Tag und Nacht?«
Mamas Blick flog zwischen mir und meinem Vater hin und her und wie so oft platzte Josefine als Erste heraus. »Das geht nicht«, sagte sie entschieden. »Wenn du immer bei Frau Kaiser bist, bist du ja nie mehr hier.«
»Sie heiÃt nicht Frau Kaiser, sondern Frau von Helsing«, betonte Krister.
»Na und«, schmollte Josefine. »Ich nenn sie aber so, weil das nämlich einfacher ist.«
»Auf dem Anwesen gibt es ein Gästehaus, in dem wir alle wohnen können«, fuhr mein Vater fort, ohne auf unsere Einwände zu achten. »Jeder hätte sein eigenes Zimmer, und ich würde fast das Dreifache von dem verdienen, was das Taxifahren einbringt. Davon abgesehen wäre die Arbeit sehr viel abwechslungsreicher und interessanter.«
In meiner Brust wurde es schrecklich eng, und für ein paar quälende Sekunden hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
»Ich verstehe das alles nicht«, stieà ich schlieÃlich hervor. »Wieso hat diese reiche Frau ausgerechnet dich für diesen Job ausgesucht?«
Auf Papas Stirn bildete sich die berüchtigte Grübelfalte, die weder senkrecht noch waagerecht verlief, sondern eine Zickzackform beschrieb und ein wenig an die Narbe von Harry Potter erinnerte.
»Tja, das ist mir ehrlich gesagt selbst ein Rätsel«, erwiderte er und sah schulterzuckend von einem zum anderen. »Ich glaube, ich war ihr einfach sympathisch«, meinte er schlieÃlich und machte eine Geste, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er ein netter Mensch war. »Wir haben uns damals auf der Fahrt vom Flughafen zu ihrer Villa in Kaiserswerth sehr anregend unterhalten. Frau von Helsing war wirklich auÃerordentlich charmant. Sie wollte wissen, wie ich lebe, ob ich Familie habe und so weiter.«
»Und das hast du ihr alles erzählt?«, fragte ich in einer Mischung aus Verwunderung und Empörung.
»Ja, warum denn nicht?«, gab Papa zurück. »Sie hat schlieÃlich auch über sich gesprochen.«
»Aber sie ist eine Fremde«, wandte ich ein.
»Vielleicht ja schon bald nicht mehr«, entgegnete er, während meine Mutter stumm vor sich
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