Philippas verkehrte Welt
hatte. Und jetzt sollte ich sie einfach hier zurücklassen? Allein die Vorstellung brach mir das Herz.
Limette spürte genau, dass etwas im Busch war. Tief geduckt schlich sie an meinem Kleiderschrank entlang, maunzte zum Gotterbarmen und beäugte mich misstrauisch.
»Ach, Limmilein, ach, Mettchen«, seufzte ich und dann fing ich doch an zu heulen. Schluchzend lieà ich mich zur Seite aufs Kopfkissen fallen und vergrub mein Gesicht darin.
Es dauerte keine drei Sekunden, da spürte ich, wie die Matratze neben mir nachgab. Im nächsten Moment drückte Limette ihr Köpfchen gegen meinen Handrücken. Ich schob meine Finger in ihr weiches Fell und zog sie an mich. »Ich lasse dich nicht im Stich«, flüsterte ich heiser. »Nie und nimmer. Das verspreche ich dir.«
Sollte Mama doch nach irgendeiner Lösung suchen, ich würde meine eigene finden!
Zum Glück lieÃen meine Eltern und meine Geschwister mich erst einmal in Ruhe. Ich weinte noch eine Weile vor mich hin und kraulte dabei Limette, bis sie sich neben meinem Kopf zusammenkringelte und einschlief. Vorsichtig setzte ich mich auf und streckte die Hand nach meinem Rucksack aus. Ich kramte einen Kollegblock, die Federtasche und mein Handy hervor. Als Erstes sah ich nach, ob Mariel sich gemeldet hatte. Hatte sie aber nicht.
Ich schüttelte das Handy ein wenig, schlieÃlich war es ein Uraltmodell, und man konnte nie wissen, ob sich nicht vielleicht doch in irgendeinem Winkel noch eine SMS verfangen hatte. Aber nix.
Mittlerweile war es zwanzig vor zwölf und die zweite groÃe Pause zu Ende. Ich konnte â ich mochte! â mir einfach nicht vorstellen, dass Mariel meine Abwesenheit völlig kaltlieÃ. Ich an ihrer Stelle würde mich jedenfalls fragen, ob es in irgendeiner Weise mit unserem Streit zusammenhing. Na ja, vielleicht fragte sie sich das ja auch. Aber deswegen gleich eine Nachricht zu schicken und sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen, war wohl einfach nicht ihre Art. Mariel konnte so verdammt stolz sein. Stolz und stur. Für mich war das manchmal schwer zu verstehen, denn ich tickte ganz anders und hätte mich im umgekehrten Fall wahrscheinlich schon längst bei ihr entschuldigt.
»Okay«, murmelte ich. »Wenn du dich nicht meldest, dann mache ich das eben.«
Hallo, Mariel,
ich bin dir nicht böse wegen gestern, falls du das denkst.
Es ist etwas Unglaubliches passiert und deshalb war ich heute nicht in der Schule. Ruf mich doch nachher mal an, dann kann ich dir alles erzählen. Ich brauche ganz dringend deinen Rat!
Deine Phily :***
tippte ich mit fliegenden Fingern ein und schickte das Ganze an Mariels Nummer. Ich starrte noch eine Weile auf das Display, weil ich hoffte, dass Mariel vor Neugier aus allen Nähten platzte und mir sogar während des Unterrichts antwortete. Aber wahrscheinlich hatte sie ihr Smartphone brav ausgeschaltet und meine SMS noch gar nicht bemerkt. Ich legte das Handy also zur Seite, blätterte den Kollegblock auf und nahm den roten Filzer aus dem Federtäschchen, denn der passte perfekt zur Situation.
Notfallprogramm für Limette
setzte ich in blutroten Lettern als Ãberschrift auf eine leere Seite und unterstrich sie fett.
1.Sie jeden Tag besuchen, füttern und streicheln
2.Mich in der Villa einfach nicht wohlfühlen
3.Jede Sekunde ein miesepetriges Gesicht machen
4.Mama ins Gewissen reden
5.Notfalls Frau von Helsing bekneten (vielleicht ist ihre Tochter ja okay, dann könnte ich die vielleicht auf meine Seite ziehen)
6.Weitere Verbündete suchen (so viele wie möglich)
7.Mit Mariel darüber beratschlagen
Obwohl ich mein Gehirn bis in die letzte graue Zelle nach Ideen durchforstete, kam leider nicht mehr dabei heraus, und auÃer Punkt eins war nichts davon wirklich konkret. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es hinbekam, tatsächlich jeden Tag schlechte Laune zu haben. Von Notfallprogramm konnte also nicht wirklich die Rede sein. Aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Und da es hier um Limette ging, würde ich alles, was in meiner Macht stand, tun, um sie vor einem ungewissen Schicksal zu bewahren.
Bis zum Mittagessen um zwanzig nach eins hörte ich nichts von Mariel. Mama hatte Spaghetti mit TomatensoÃe gemacht, das einzige Gericht, das wir alle mochten, trotzdem bekam kaum einer von uns etwas davon hinunter.
Krister und Josefine plapperten aufgeregt durcheinander. Beide hatten ihre
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