Phillips Bilder (German Edition)
kleinen, tiefliegenden Fenster. Ich mache alle Lampen an, doch trotzdem wird das spärliche, künstliche Licht den Fotos eine grobkörnige Struktur geben. Und viel Kontrast, denn ich habe keinen Aufheller.
Benjamin und David legen sich auf das alte, mit rotem Cord bezogene Sofa. Benjamin liegt halb auf David, an ihn geschmiegt, jetzt hat er die Augen geschlossen, während David ihn umfasst und in den Raum schaut. Dann küssen sie sich, leicht erst, doch bald mit offenen Mündern, die Lippen fest aufeinandergepresst. Ich greife zum Teleobjektiv, konzentriere mich auf ihre Gesichter, auf das Spiel ihrer Zungen. Wieder muss ich an Seth denken, daran, was Intimität ist und dass ich solche Fotos auch gerne von uns hätte.
Als die beiden sich nur noch verhalten und zärtlich küssen, dabei streicheln, nehme ich das Zimmer mit ins Bild, der Raum ist nur sparsam mit antiken Möbeln eingerichtet, auf dem Couchtisch steht eine Steingutvase mit Wiesenblumen. Diesen Raum, der ihrer ist, vielleicht mehr Benjamins, der hierher zu gehören scheint. Sie lachen jetzt, sehen sich an, dann zu mir. Sie rutschen vom Sofa, setzen sich davor, schlingen ihre Arme und Beine ineinander.
„So war unser erster Nachmittag“, sagt David, „da hat es auch geregnet.“
„Ja, so ähnlich. Ich habe auf einer Leinwand rumgekleckst und du hast mir Bier eingeflößt, weil meine Hände voll Farbe waren.“
„Genau.“ David drückt sein Gesicht in Benjamins Halsbeuge. Ich kann in Ruhe fotografieren, denn sie sitzen ganz still. Sind ganz beieinander, jeder in seiner Erinnerung.
Als der Film blockiert, spule ich zurück, ohne die beiden zu stören. „Das war’s, ich habe keinen Film mehr.“
David sieht auf. „Wann werden die Fotos fertig?“
„Also, ich kann sie bei meinem Vater entwickeln“, antworte ich zögerlich. „Morgen könnte ich ja mal hin.“
„Tue das“, sagt Benjamin und sieht mich an.
„Ja ... muss wohl“, ich nehme den Film aus der Kamera.
„Was hast du gegen ihn?“ Benjamin schüttelt den Kopf.
„Er ist spießig!“
„Was meinst du damit?“ Benjamin und David stehen auf und strecken sich.
„Na ja ... er mäht den Rasen zweimal in der Woche, die Rabatten sind mit dem Lineal gezogen, ins Wohnzimmer könntest du jederzeit Staatsgäste führen ...“
„Das ist doch alles nicht so schlimm“, sagt Benjamin.
„Du hasst doch Leute, die ständig ihren Rasen mähen.“
„Nein Phil, ich hasse sie nicht. Es ist nur nicht meins.“
„Siehst du. So einen Nachmittag, einfach mal so, das gibt es bei ihm nicht. Kochen, wenn man Hunger hat und nicht weil es zwölf ist. Spontaner Besuch. Einfach mal abhängen.“
David setzt sich aufs Sofa. „Du musst doch nicht so leben wie er.“
„Du hast leicht reden. Du hast ja eine coole Familie. Ich wollte früher lieber bei euch zu Hause sein.“
„Du wolltest Moritz an den Arsch.“
Benjamin murmelt etwas wie ‚muss mal‘ und geht raus.
„Warum juckt es Benjamin so, was mit meinem Vater ist?“, frage ich David.
„Kannst du dir das nicht denken? Als sein Vater starb, waren sie mehr oder weniger zerstritten. Benjamin hatte keine Chance mehr.“ David sagt es ganz ruhig.
Ich sehe ihn an, er zuckt die Schultern. „Denkst du, meine Eltern waren immer cool? Wenn mein Vater in einem seiner Projekte steckte, hatte er kein Ohr für uns. Und unsere Mutter war keine Meisterin darin, nebenbei fünf Kinder und den Haushalt zu managen.“
„Sie haben euch machen lassen. Das war toll.“
„Ja, ich hatte eine großartige Kindheit. Aber ich könnte das auch anders sehen, weißt du, Phil?“
„Verstehe schon. Ich fahr ja Morgen hin.“
Ich packe die Filme ein und denke an die Bilder, die ich morgen entwickeln werde und die schön sein werden. An meine Unsicherheit versuche ich nicht zu denken.
***
Im Laden hängen einige der weißen Deckenpaneele halb herunter, Kabel liegen quer durch den Raum, die Schaufensterscheiben, durch die ich schaue, sind dreckig, und am Mauersockel platzt die Farbe ab. Ihr Laden steht leer, obwohl er am Markt liegt, hat ihn niemand übernommen. Ich schaue die Häuserzeile entlang, Bank, Buchladen, Juwelier, das Eiscafé. Auf der anderen Seite ein paar kleine Läden, das Kino, zwei Restaurants, dazwischen ein leeres Geschäft und ein Asialaden voller Ramsch. Auch in der anderen Marktecke steht ein Ladengeschäft leer. Ich sehe hinüber zur schmalen Seite des Platzes, zum Laden meines Vaters, vor dem bunte Wimpel wehen, ein großes
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