Philosophenpunsch
neuer Streit dabei heraus. Du könntest etwas sagen, was dir später leid tut.«
»Kannst du jetzt endlich mit deinem Strafgericht aufhören?«, reagierte Korber nun schon ziemlich beleidigt. »Ich weiche ohnehin der Gewalt. Nur schade, dass du dich an manchen Tagen absolut nicht in meine Psyche hineinversetzen kannst.«
»Das kann ich mittlerweile leider allzu gut«, versetzte Leopold, während er Korbers Zeche kassierte. »Soll ich dir Details aus früheren Tagen aufzählen?«
»Nein danke, es reicht.« Korber streifte demonstrativ das gesamte Retourgeld ein. »Denk lieber über deine eigenen Fehler nach. So long und schöne Weihnachten. Ich glaube nicht, dass wir uns so bald wiedersehen.« Damit ging er, bemüht, Sicherheit vorzutäuschen, bei der Tür hinaus.
Während Leopold noch sinnierte, über welche Fehler er, wenn überhaupt, nachdenken sollte, läutete sein Handy. Es war die Tante. Sie meldete sich aus seiner Wohnung. Typisch, dachte er bei sich. Wenn’s nichts kostet, hat sie keine Probleme mit dem Anrufen. Laut sagte er dann: »Hallo, Tante Agnes. Wie geht’s dir denn? Ich vermisse dich schon.«
»Ach, Leopold«, hörte er. »Entschuldige, wenn ich heute nicht mehr ins Kaffeehaus komme. Zuerst habe ich eine alte Freundin von mir, die Gerlinde Pelinka, besucht, und dort ein paar Gläser Wein getrunken. Dann war so ein schöner Film im Fernsehen. Vorhin wäre ich beinahe schon eingeschlafen. Es war doch ein anstrengender Tag. Ich glaube, ich gehe jetzt lieber zu Bett.«
Leopold schien fürs Erste erleichtert. Wie sich Tante Agnes häuslich eingerichtet hatte, das wollte er lieber gar nicht wissen. »Tu das, Tantchen«, ermunterte er sie. »Bei mir dauert es noch ein bisschen. Aber morgen bin ich ganz für dich da.«
»Na hoffentlich. Und am Sonntag brauche ich dich erst recht. Ich möchte mir den Weinkeller meiner Freundin anschauen. Da musst du uns mit dem Auto hinführen.«
»Ach so, das habt ihr beide so einfach beschlossen«, murrte Leopold. »Ohne mich zu fragen. Am Sonntag würde ich mich lieber ein wenig ausruhen.« Natürlich ging es ihm in erster Linie darum, wieder Zeit für seine Jagd nach dem Mörder zu gewinnen, aber das durfte er seiner Tante nicht sagen.
»Ach was«, sprach Agnes Windbichler resolut in den Hörer. »Jetzt, wo ich da bin, hast du dich um mich zu kümmern. Der Weinkeller war früher ein Lieblingsort von mir. Wir brauchen nur noch den Schlüssel, dann geht’s schon los.«
»Schön, wenn es unbedingt sein muss«, gab er nach. »Aber es darf nicht lange dauern. Und was steht morgen so auf dem Programm?«
»Einiges, das kannst du dir ja denken. Wir brauchen einen Christbaum, und euren Weihnachtsmarkt möchte ich auch sehen. Und ich möchte ein schönes Geschenk kaufen, weil du mich so lieb aufgenommen hast. Was wünschst du dir eigentlich?«
Leopold brauchte nicht lange nachzudenken. Jetzt redete die Tante wieder ganz nach seinem Geschmack. »Mein sehnlichster Wunsch wäre ein Pullover«, teilte er ihr mit. »Ein schöner, dicker Winterpullover. Ich weiß auch schon, wo wir den besorgen: beim Frick. Dort habe ich gute Beziehungen.«
*
Korber stolperte, aber er ging geradeaus. Er wusste jedoch nicht, wohin er sich wenden sollte, hierhin oder dahin – es war alles so kompliziert. Der Alkohol machte ihn sentimental und ließ die unglücklichen Ereignisse vom Mittag immer wieder in ihm aufleben. Eigentlich hatte er keine Lust, sich schon jetzt, kurz nach 22 Uhr, heimwärts zu wenden und den eben erst angebrochenen Abend für beendet zu erklären. Andererseits wusste er natürlich, dass ihm seine fatale Laune eine Menge Schwierigkeiten einbringen konnte, wenn er ziellos bis frühmorgens durch Lokale der Innenstadt streifte, wie es bei solchen Gelegenheiten seine Angewohnheit war.
Er dachte also nach und blickte zum Himmel hinauf. Es war, im Gegensatz zu gestern, eine klare Nacht. Die Sterne versteckten sich zwar beinahe vollzählig hinter der großen Dunstglocke, die über der Stadt hing, aber der Mond leuchtete hell. Welche Richtung würde er ihm weisen? Korber war für einen Augenblick so tief in die Szenerie versunken, dass er kurz den Gehsteig verließ und beinahe mit einem Radfahrer, der sich um diese Zeit noch hierher verirrt hatte, zusammengestoßen wäre. Das gab ihm schlagartig ein Gefühl der Nüchternheit und Entscheidungsgewalt. Ein kleiner, kurzer Abstecher in die City konnte nicht schaden. Was brachte es schon, brav auf Julia zu warten, die sich
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